Die Gauklerin
können. Rudolf war schon in der Nacht hinaus, er hatte den Nachtwächter des Siechentors bestochen.
Agnes betrachtete die beiden Füchse, die kräftig und gesund aussahen.
«Wie hast du die Pferde hierher bekommen, ohne die ganze Stadt zu wecken?»
«Überhaupt nicht. Die standen hier und haben auf mich gewartet.» Er zwinkerte ihr zu, und seine schwarzen Brauen traten noch stärker hervor. «Du glaubst nicht, was alles aus der Stadt geschafft wurde, bevor die Kaiserlichen hier eingefallen sind. Mindestens fünf Dutzend der besten Pferde wie diese beiden. Die sind alle auf die umliegenden Höfe verteilt. Übrigens reißt mir mein Freund den Kopf ab, wenn wir sie nicht heil zurückbringen.»
Er reichte ihr ein Bündel mit Kleidern.
«Hier. Zieh das an.»
«Das ist nicht dein Ernst.» Verdutzt blickte sie auf die derbe Hose und das Lederwams. «Ich soll mich als Mann verkleiden?»
«Ja, wenn du nicht willst, dass dich der nächstbeste Soldat vom Pferd zerrt.»
Wider Willen musste sie lachen. Warum nicht ein wenig Mummenschanz, wo sie doch eine Gauklersfrau war.
«Wahrscheinlich hast du Recht. Los, dreh dich schon um.»
Als sie in der Männerkleidung vor ihm stand, einen speckigen Hut auf dem hochgesteckten Haar, pfiff er durch die Zähne.
«Das steht dir gut. Solltest du öfter tragen. Und jetzt noch ein kleiner neckischer Schnurrbart.»
Er strich ihr mit einem Kohlestift über die Oberlippe, dann bückte er sich, griff in die feuchte Erde unter den Reben und rieb Fell und Mähne der Pferde damit ein.
«Hilf mir. Muss ja nicht jeder gleich von weitem sehen, von welch edlem Geblüt unsere Rösser sind.»
Eine Viertelstunde später saßen sie auf. Es war empfindlich kalt, unten im Nesenbachtal hing der Morgennebel. Solange sie sich auf halber Höhe der Hügel hielten, würden sie unbehelligt am Heerlager vorbeikommen. Sie umgingen jede Ansiedlung und erreichten schließlich ohne Zwischenfälle den Neckar, der unter ihnen wie ein silbernes Band in der frühen Sonne glitzerte.
«Jetzt gilt es, die erste Hürde zu nehmen», sagte Rudolf und zog die Adlernase kraus. «Die Brücke bei Cannstatt soll von Spaniern besetzt sein, die bei Esslingen von Kaiserlichen. Wir müssen schwimmen.»
«Kannst du überhaupt schwimmen?»
«Nein. Aber unsere Pferde doch hoffentlich.»
Agnes überkamen ernsthafte Bedenken. Rudolf war zwar ein hoch gewachsener, aufrecht gehender Mann, aber zu Pferd sah er aus wie eine dürre und krumme Holzlatte. Die Reiterei war seine Sache nicht, das hatte sie schnell gemerkt. Zu ihrem Glück führte der Neckar nach diesem warmen Sommer nicht viel Wasser.
Sie ritten ans Ufer hinunter und suchten eine Stelle mit möglichst wenig Strömung.
«Dann also – nichts wie hinein.»
Er schlug heftig mit den Unterschenkeln gegen den Pferdeleib, doch sein Fuchs stand da wie angegossen.
Agnes schüttelte den Kopf. «Entschuldige, Rudolf. Aber als Lakai machst du wirklich eine bessere Figur. Lass mich vorreiten.»
Geschickt lenkte sie ihr Pferd die Böschung hinunter. «Nun komm schon. Zieh ihm eins mit dem Stock über. Und halt dich immer schräg gegen die Strömung.»
Nass bis zur Hüfte erreichten sie das andere Ufer. Rudolf verzog das Gesicht. «Ich beginne, mein Angebot zu bereuen.»
Er trieb sein Pferd bergauf in die Weinberge, bis sie in den Schutz eines Wäldchens gelangten. Agnes hielt sich dicht bei ihrem Begleiter.
«Ich hoffe, du kennst den Weg.»
«Aber ja, geradewegs nach Osten, bis Waiblingen. Und dann die Rems entlang.»
Es ging gegen Mittag, und die Sonne gewann an Kraft. Ohne Rast ritten sie weiter, querfeldein, durch eine Landschaft endloser Felder und Weiden, die am Horizont von dunklen Bergen begrenzt wurde. Soldaten hatten sie bislang nicht zu Gesicht bekommen, und Agnes hätte den Ritt eigentlich genießen mögen, so lange schon war sie nicht mehr aus den Mauern Stuttgarts herausgekommen. Stattdessen wurde ihr immer beklommener zumute: Weit und breit sahen sie weder Bauern noch ein einziges Stück Vieh, auf den Äckern verfaulte die Frucht, das Korn stand überreif und ungeschnitten. Dafür fielen Scharen von Krähen über die Felder her.
«Verstehst du das?», fragte Agnes.
Rudolf schwieg.
Als sie die Landstraße erreichten, war unschwer zu erkennen, dass hier die Kriegsvölker König Ferdinands durchgezogen waren. Ihre Gespanne hatten tiefe Furchen in den Schotter getrieben, die Felder rechts und links der Straße waren zermalmt. Agnesbeschlich ein Gefühl der
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