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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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kleinen Buben auf. Sein Gesicht war ebenfalls mit Ruß bedeckt, und in den Augen des Kindes stand nichts als Angst.
    Agnes entspannte sich.
    «Wir sind keine Plünderer. Wir kommen aus Stuttgart, sind auf dem Weg nach Nördlingen. Gibt es hier irgendwo eine Herberge?»
    Der Mann sah sie maßlos erstaunt an. Dann wurde seine Miene freundlicher.
    «Eine Herberge, so etwas werdet Ihr hier weit und breit nicht mehr finden.»
    Er kam aus dem Kellereinlass und zerrte einen schweren Sack hinter sich her.
    Rudolf sprang hinzu. «Wartet, ich helfe Euch.»
    Nachdem der Mann noch etliche Pfannen, Töpfe und weitere Gerätschaften aus dem Loch zutage befördert hatte, trat er auf die Gasse und fuhr sich mit dem Ärmel durchs Gesicht.
    «Das war einmal mein Haus», sagte er tonlos. Dann nahm er den Jungen bei der Hand.
    «In der Stadt könnt Ihr nicht bleiben. Aber wenn Ihr mir schleppen helft, nehm ich Euch mit zu meinem Schwager. Dort braucht sich Eure Frau auch nicht als Mannsbild ausgeben.»
    Schweigend banden sie den Pferden die Säcke auf und schulterten Töpfe und Pfannen, schweigend führte der Mann sie zwischen den Ruinen hindurch in die Vorstadt der Weingärtner. Dort schlüpften sie durch eine Bresche hinaus.
    «Wir nehmen den Pfad durch das Wäldchen. Wenn uns jemand begegnet, verstecken wir uns. Sonst bin ich meinen Hausrat los, ehe ich Grüßgott sagen kann. Und Ihr Eure hübschen Pferdchen.»
    Als sie die Stadt mit ihrem Heerlager weit genug hinter sich gelassen hatten, marschierten sie längs des Flusses, der sich hier in ein enges Tal fraß. Der Mann brach sein Schweigen.
    «Ist die Residenz auch zerstört?»
    Rudolf schüttelte den Kopf. «Nein, wir haben Glück. Der Sohn des Kaisers residiert im Schloss und hat Stuttgart einen Schutzbrief ausgestellt. Aber was, in Gottes Namen, ist Eurer Stadt widerfahren?»
    «Unsere neuen Herren – sie haben ganze Arbeit geleistet.» Er griff nach der Hand des Jungen. «Dabei hatten uns ein paar versprengte Schweden sogar gewarnt. Die Kaiserlichen seien im Anmarsch, die würden alles niedermachen, was sich ihnen widersetzt. Am besten sollten wir ohne Umschweife den Stadtschlüssel übergeben. Aber als der Magistrat hiervon erfuhr, machten sich unsere Vögte und Bürgermeister und fast alle hohen Herren davon. Elende Bettseicher!»
    «Und dann?»
    «Nur ein paar wenige Ratsherren haben ausgeharrt. Ich selbst bin dann mit meinen Brüdern aufs Rathaus, um die friedliche Übergabe der Stadt zu erflehen. Doch sie haben uns als Feiglinge verlacht und hinausschleifen lassen.» Er sprach auf einmal hastig, die Worte drängten förmlich aus ihm heraus. «Als ich dann mit meiner Familie fliehen wollte, waren die Tore mit starken Mannschaften besetzt, die Order hatten, niemanden hinauszulassen. Bald erschien ein Trupp spanischer Reiter vor dem Fellbacher Tor und verlangte die Übergabe. Doch unsere Ratsherren saßen beim Zechen im Stadtkeller und kümmerten sich nicht drum. Als am Abend die Reiter zurückkehrten, mit Verstärkung, mussten sich alle Männer und Burschen auf dem Marktplatz sammeln, wir erhielten Waffen und bezogen Aufstellung. Mein Schwager, ein Bäckermeister und gerade erst aus Nördlingen zurück, wagte sich als Einziger hinaus, um über einen Akkord zu verhandeln, da geschah das Unglück: Einer unserer Torwächter feuerte in die Truppen, und die schlugen grausam zurück: Sie haben das Tor in Brand gesteckt und die gesamte Vorstadt gleich dazu. Dann drangen sie ein, während wir versuchten, über das Beinsteiner Tor zu fliehen. Für viele von uns war es zu spät.»
    Er stockte in seinem Bericht und starrte vor sich hin.
    «Und weiter?», fragte Agnes leise.
    «Die Söldner waren wie von Sinnen. In Scharen zogen sie durch die Gassen, plünderten die Häuser, schändeten die Frauen, und wer sich dagegenstellte, wurde bestialisch niedergemetzelt. Dem Stadtsyndicus haben sie die Kehle mit Erde vollgestopft, bis er jämmerlich erstickte, dem Amtsschreiber bei lebendigem Leib das Fleisch von den Beinen geschabt, den Medicus mit einem Bratspieß erstochen. Andere haben sie im eigenen Haus gehenkt oder wie eine Fackel angezündet. Erst als gegen Mitternacht die ganze Stadt in Flammen stand, fand das Treiben ein Ende. Von meiner Familie haben nur ich und mein Junge überlebt.»
    Tränen zeichneten jetzt helle Spuren in sein schmutziges Gesicht, und für den Rest des Marsches war Agnes die Kehle wie zugeschnürt. Was waren die Menschen nur für Bestien.
    «Wir sind da.»
    Sie

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