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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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wurde schwarz vor Augen.
    Als sie wieder zu sich kam, fand sie sich im Gras liegend, nahe einer großen Feuerstelle. Sie hob den Kopf. Langsam nur wurde das Bild vor ihren Augen klarer: Mindestens hundert zerlumpte Gestalten lungerten um die Feuerstelle, am Waldrand grasten ein paar Pferde und Maultiere, schäbige Karren standen herum, das Stimmengewirr und Gelächter klang fremd in ihren Ohren. Wo war Andres?
    Sie versuchte aufzustehen. Da erst bemerkte sie, dass ihre Füße zusammengebunden waren. Sie war gefangen!
    «Andres!»
    Ein zahnloses altes Weib beugte sich zu ihr herunter und brabbelte unverständliches Zeug. Auf ihrem grindigen Schädel trug sie Agnes’ Marderfellmütze. Wieder schrie Agnes nach ihrem Gefährten.
    «Hier bin ich.»
    Mühsam wandte sie sich um. Andres stand bei einem der Karren und lud Fässer auf, wobei ihm ein hoch gewachsener Mann mit gelber Schärpe und Federhut zuschaute. Die gelbe Brigade, fuhr es ihr durch den Kopf, sie waren in die Fänge versprengter Schweden geraten. Deshalb also verstand sie kein Wort. Was hatten die mit ihnen vor? Sie besaßen doch nichts als ihre zerfetzte Kleidung am Leib. Ihr Herz raste. Sie musste an Andres’ Dorf denken, wo die Schweden in blinder Raserei alle Bewohner niedergemetzelt hatten, nachdem nichts mehr zu holen gewesen war. Andererseits waren sie noch am Leben, und so dreckig und grob diese Leute hier wirkten, von Raserei war doch nichts zu spüren.
    Das Wichtigste aber: Auch Andres schien unverletzt, dem Himmel sei Dank. Jetzt wollte er auf sie zulaufen, doch auch er war an den Füßen gefesselt und stürzte der Länge nach hin. Die Umstehenden lachten.
    Lieber Gott, betete sie, gib ihnen die Güte, uns freizulassen. Ich will nichts anderes als nach Hause.
    Der Mann mit der Schärpe, ganz offensichtlich der Anführer der Horde, kam auf sie zu. Er war nicht viel älter als sie selbst, das blonde Haar reichte ihm bis über die Schulter, sein unrasiertes, kantiges Gesicht mit den stahlblauen Augen und der hohen Stirn signalisierte unnachgiebige Härte.
    «Steh auf», befahl er barsch.
    Agnes rappelte sich auf.
    «Bist du verletzt?»
    «Nein.»
    Kopfschüttelnd betrachtete er sie. «Da haben meine Leute wahrlich einen formidablen Fang gemacht. Zwei noch größere Habenichtse, als wir es sind.»
    Ein winziger Funken Hoffnung keimte in ihr auf. Dieser Mann war kein Schwede. Er sprach im Gegenteil das klare Kanzleideutsch eines Mannes von Adel.
    «Dann lasst Ihr uns frei?»
    «Warum sollte ich?» Jetzt spielte so etwas wie ein Lächeln um seine Mundwinkel.
    «Weil wir nichts haben, was Euch nützen könnte. Außerdem – wir sind Württemberger, Verbündete der Schweden.»
    «Verbündete!» Sein Lachen war so kalt wie sein Blick. «Euer feiger Herzog war der Erste, der das Hasenpanier ergriffen hat. Das schwedische Heer ist aufgerieben, in alle Winde verstreut. Aber der Krieg ist wie eine Kinderschaukel: Bald ist man oben, bald unten. Und wir sind bald wieder oben.»
    «Habt Erbarmen. Mein Bruder Jakob hat auch bei den Schweden gedient, als Feldscher unter Bernhard von Weimar. Jakob Marx – vielleicht kennt Ihr ihn?»
    «Glaubst du etwa, ich kenne jeden Quacksalber beim Namen?» Er strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. «Du könntest dich wieder einmal waschen.»
    Er sagte etwas zu dem alten Weib in einem Kauderwelsch aus Deutsch und der spitzen, hell klingenden Sprache der Schweden. Die Alte streckte Agnes die Zunge heraus, dann schlurfte sie davon. Auch der Obrist wandte sich ab.
    «So wartet doch. Bitte!»
    «Keine Zeit. Du wirst noch Gelegenheit genug haben, mit mir zu reden.»
    Damit eilte er davon.
    Fassungslos blickte sie ihm nach. Sie würden tatsächlich gefangen bleiben. Schauergeschichten kamen ihr in den Sinn, über Bürger und Bauern, die von Soldaten verschleppt waren – die Bauern als Arbeitssklaven, die Bürger als ortskundige Führer oder Geiseln, um im nächsten Ort gegen gutes Geld wieder ausgelöst zu werden. Während ihrer Gefangenschaft wurden sie misshandelt, viele auch umgebracht. Unzählige solcher Geschichten hatte sie gehört, immer jedoch handelten sie von gnadenlosen schwedischen Völkern oder von barbarischen Kroaten und Polen. Von einem deutschen Offizier hatte sie Ähnliches nicht gehört.
    Die Alte kehrte zurück und knallte ihr mit grimmiger Miene einen gefüllten Wassereimer vor die Füße. Agnes bückte sich und wusch sich Gesicht und Hals. Das klare, kalte Wasser erfrischte sie. Plötzlich hob ihr das Weib

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