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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Mondlicht ergoss. Die Wächter schritten am Waldrand auf und ab. Agnes ließ sich ins feuchte Gras sinken und betrachtete das Sternbild des Großen Wagens. Verse kamen ihr in den Sinn, Verse aus einem Gedicht des schlesischen Poeten Martin Opitz, das sie mit Prinzessin Antonia kurz vor deren Flucht wieder und wieder gelesen hatte:
    Ihr Heiden reicht nicht zu
    Mit eurer Grausamkeit,
    Was ihr noch nicht getan,
    Das tut die Christenheit.
    Ob Andres’ Seele wohl schon bei seiner Familie angelangt war, dort oben, an seinem Stern? Sie wusste, dass es kein Fegefeuer gab, dass dieser qualvolle Übergang zum ewigen Leben eine Erfindung der papistischen Kirchenväter war. Außerdem war Andres bereits auf Erden durch Höllenqualen gegangen, dachte sie bitter. Jetzt hatte er ganz sicher Ruhe gefunden.

34
    In der Tat deutete hier im Süden des Reiches nichts auf einen baldigen Frieden hin. Die gebrandschatzten Dörfer waren verlassen, diejenigen Bewohner, die den Plünderern entkommen waren, wagten nicht, ihre Zuflucht in den Wäldern, Höhlen und Ruinen aufzugeben.
    Eine Woche nach Andres’ Tod tauchten vor ihnen zwischen bewaldeten Berghängen die Mauern von Tuttlingen auf, dem südlichsten Amt des württembergischen Herzogtums. Einige der Verwundeten litten an Fieber, sie benötigten dringend frisches Verbandszeug und vor allem etwas Nahrhaftes zu essen. Ausgehungert und erschöpft machten sie in sicherem Abstand zur Stadt Halt.
    «Wahrscheinlich haben selbst hier die Kaiserlichen längst eine Garnison einquartiert», sagte Steinhagen zu Agnes.
    Sie gab keine Antwort. Seit jenem tödlichen Duell an der Donau sprach sie nurmehr das Nötigste mit dem Rittmeister und verweigerte sich ihm des Nachts. Der zögerliche Respekt, den siediesem Mann entgegengebracht hatte, war in eisige Kälte umgeschlagen. Auch Steinhagens Verhalten ihr gegenüber hatte sich verändert: Er umwarb sie inzwischen wie ein verliebter Bräutigam seine Auserwählte.
    «Doch selbst wenn», fuhr er fort und sah sie besorgt an, «wir müssen hinein, wollen wir nicht in den nächsten Tagen allesamt krepieren. Du siehst aus, als könntest du dich keine Stunde mehr auf den Beinen halten.»
    Scheinheiliger Lump, dachte Agnes nur. Du bist doch froh, dass ich dir nicht davonlaufen kann.
    Dann bat er sie, ihn beim Erkunden der Lage zu begleiten. Stumm lief sie ihm hinterher.
    Als sie sich der Stadt näherten, erkannte sie zu ihrem Erstaunen, dass die Tore unbewacht und offen waren. Niemand hielt sie auf, niemand fragte nach Namen und Herkunft noch nach ihrem Begehr. Die Häuser standen wie tot, mit leeren Fensterhöhlen und zerschlagenen Türen, Söldner lungerten auf den staubigen Gassen herum, schmutzig und in Lumpen gehüllt, starrten sie an, ohne sich zu rühren. Manche hatten sich Erdlöcher unter die Stadtmauer gegraben und hausten darin wie die Tiere.
    «Seid Ihr Kaiserliche?», fragte Steinhagen einen, der auf einem Stock herumkaute wie ein Hund am Knochen. Der zuckte die Schultern und gab keine Antwort. Dafür humpelte ein anderer auf sie zu, halbnackt, mit ausgestreckten Händen, die Augen im hohlwangigen Gesicht weit aufgerissen.
    «Brot! Brot!»
    «Wir haben selbst nichts», gab Steinhagen zurück. «Zu welcher Einheit gehört ihr?»
    «Brot! Brot!» Der andere fiel auf die Knie. «Brot! Brot!»
    Steinhagen schüttelte den Kopf und zog Agnes weiter. «Man könnte meinen, wir sind im Tollhaus gelandet.»
    Da entdeckte Agnes einen kleinen Jungen, der sie, hinter einem Dreckhaufen halb verborgen, beobachtete. Er wirkte in diesertrostlosen Umgebung wie eine Erscheinung: Sein Gesicht war sauber, die Haare sorgfältig gescheitelt und gekämmt. Steinhagen hatte ihn ebenfalls entdeckt.
    «Der Kleine da ist nicht von schlechten Eltern», murmelte er und ging einen Schritt auf ihn zu.
    «He du, wo finde ich hier einen Bader oder Wundarzt?»
    Statt eine Antwort zu geben, stürzte der Junge davon.
    «Los, hinterher.»
    Bei der Stadtkirche verloren sie ihn kurzzeitig aus den Augen, dann tauchte er in einer Seitengasse wieder auf und verschwand in einem prächtigen Bürgerhaus.
    «Was habe ich gesagt? Da sind wir am richtigen Nest gelandet.»
    Agnes blieb abrupt stehen. «Und nun? Wollt Ihr die Letzten, die hier noch was haben, auch ausräubern?»
    Er legte ihr begütigend die Hand auf den Arm. «Ich bin weder auf Tafelsilber noch auf Goldmünzen aus. Nichts weiter als Verbandszeug und ein wenig Proviant will ich. Und ein Losament für meine Leute, bis die

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