Die Gauklerin
Agnes, gehen wir.»
«O nein!» Steinhagen packte Agnes am Arm und riss sie an seine Seite. «Ich habe sie gerettet, nicht du. Los, Agnes, sag es ihm. Ich habe doch dein Leben gerettet, oder etwa nicht?»
«Ja, das habt Ihr. Aber nicht mich habt Ihr gerettet, sondern Euren Besitz.»
Steinhagens Gesicht verzerrte sich zu einer Maske des Schmerzes. «Agnes. Du bist das Teuerste, was ich habe», flüsterte er.
Da zog Andres einen Dolch aus dem Gürtel. Die Klinge blitzte herausfordernd im Sonnenlicht.
«Du hast sie zur Hure gemacht», sagte er ruhig. Sein Gesicht hatte alles Jungenhafte verloren. «Dafür bringe ich dich um.»
Sofort scharten sich die restlichen Männer und Frauen der Truppe, etwa zwanzig an der Zahl, um Steinhagen. Der spuckte aus.
«Pah! David gegen Goliath. Du machst dich lächerlich.»
«Du machst dich lächerlich, wenn du den Schutz deiner Leute brauchst.»
«Du willst mich also zum Zweikampf rausfordern? Das kannst du haben. Los, geht zur Seite», herrschte er seine Gefährten an.
Agnes stellte sich zwischen sie. «Hört auf! Wollt ihr noch mehr Unheil?»
Andres schob sie beiseite. Seine hellen Augen hatten sich dunkel verfärbt. «Faust oder Dolch?», fragte er seinen Kontrahenten.
Einer der Männer reichte Steinhagen einen Dolch, doch der schlug ihn weg. Dann stellte er sich breitbeinig vor dem Jungen auf.
«Los, fang an. Du hast den ersten Schlag.»
Doch statt die Faust zu erheben, hebelte Andres mit einem schnellen Tritt dem Rittmeister die Beine unter dem Leib weg. Dann warf er sich auf ihn. Was folgte, war ein verbissener Kampf zwischen zwei gleich starken Gegnern. Mal war der eine, mal der andere im Vorteil, ihre Körper wälzten sich auf dem dunklen Waldboden, kaum bekamen sie ihre Arme frei, um einen Treffer zu landen. Irgendwann schien Steinhagen zu ermüden, Andres rammte ihm sein Knie in die Magengrube, schlug ihm die Stirn blutig, dann die Nase, das Gesicht in rasender Wut verzerrt. Ohne einen Laut von sich zu geben, umklammerte er mit seinen kräftigen Händen Steinhagens Hals. Der Rittmeister begann zu röcheln, seine Arme ruderten hilflos über den Boden. Immer langsamer wurden seine Bewegungen, bis plötzlich sein rechter Arm hochfuhr und Andres mit voller Wucht an der Schläfe traf. Er hielt einen Stein in der Hand. Mit einem heiseren Krächzen rollte der Junge zur Seite, Agnes schrie laut auf, und Steinhagen schlug ein weiteres Mal zu. Leblos lag der Junge da, als Agnes sich über ihn warf.
«Andres! Andres! Sag etwas.»
Andres öffnete die Augen und sah sie an, erstaunt und zärtlich zugleich. «Du – musst – nach Hause.»
Dann brach sein Blick.
Es brauchte die Kraft dreier Männer, um Agnes von dem Toten wegzuzerren. Mit einem Mal sprang sie auf und lief zu Steinhagen.
«Du Mörder», brüllte sie und schlug in sein geschundenes Gesicht, wieder und wieder.
«Es war ein Kampf Mann gegen Mann», murmelte der Rittmeister, ohne sich zu wehren. Dann wandte er sich ab.
Eine Stunde später, die Sonne stand bereits schräg am Himmel, waren sie bereit zum Aufbruch. Agnes kauerte noch immer an Andres’ frischem Grab, das Steinhagen eigenhändig nahe der Uferböschung ausgehoben hatte. Sie betrachtete das kleine Holzkreuz, das sie ihrem Freund und Weggefährten gebunden und in die Erde gesteckt hatte. «Andres, gestorben im Jahr des Herrn 1635» war kaum lesbar hineingeritzt. Nun war sie ganz und gar allein. Dieser Krieg nahm ihr nach und nach alles, was Bedeutung hatte. Ebenso gut konnte sie sich nun in den Fluten der Donau ertränken oder von einem der Felsen stürzen. Denn aus diesem Inferno der Gewalt würde wohl nie mehr ein Weg herausführen. Vielleicht war dies die Buße, die Gott ihr auferlegt hatte für den Irrweg, den sie als junge Frau eingeschlagen hatte in ihrer Verblendung und trotzigen Eigensucht.
An diesem Tag kamen sie nicht mehr weit, da nicht nur den Verwundeten das Marschieren Mühe machte. Sie nahmen Zuflucht in einer Waldarbeiterhütte, je fünf der Männer hielten abwechselnd die Nacht über Wache.
Wie eine Schlafwandelnde war Agnes schließlich Steinhagens Aufforderung gefolgt mitzukommen. Jetzt lag sie neben ihm auf dem Holzboden der Hütte, machte nicht einmal den Versuch einzuschlafen und lauschte den Geräuschen der Nacht. Steinhagens kurze Atemzüge verrieten ihr, dass auch er keinen Schlaf fand.
Sie erhob sich.
«Wo willst du hin?»
Ohne Antwort zu geben, trat sie hinaus auf die kleine Lichtung, über die sich silbrig das
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