Die Gauklerin
Verwundeten wieder auf den Beinen sind. Und jetzt komm.»
Agnes schüttelte seine Hand ab, folgte ihm aber dennoch. Denn der Hunger ließ es inzwischen vor ihren Augen flirren und flimmern.
Steinhagen schlug den Löwenkopf aus Messing mehrmals gegen die Tür. Vergeblich.
«Wenn ihr nicht öffnet, werfe ich euch die Fenster ein», brüllte er. Da ging die Tür einen Spaltbreit auf, und ein hageres Gesicht mit Augengläsern und schütterem Haar erschien.
«Was wollt Ihr?» Die Stimme klang müde.
«Einen Becher Wasser für meine Frau.»
Der Mann musterte Agnes, dann ließ er sie eintreten in eine dunkle, angenehm kühle Diele.
«Wartet hier.»
Er wollte die Treppe hinauf, doch Steinhagen hatte ihm schon mit der Linken unsanft den Arm auf den Rücken gedreht, in der Rechten hielt er seinen Dolch. Agnes unterdrückte einen Schrei.
«Und jetzt führt mich in Eure gute Stube. Wollen mal sehen, ob Ihr mehr zu bieten habt als einen Becher Wasser.»
Kaum hatten sie die Stube betreten, sah Agnes, dass hier nicht mehr viel zu holen war: Bis auf den schweren, mit kunstvollen Schnitzereien versehenen Tisch, eine Eckbank und eine einfache Truhe war der Raum leer. Helle Flecken an der holzvertäfelten Wand verrieten, dass noch unlängst zahlreiche Bilder die Stube geschmückt hatten.
Als sie die Tür hinter sich schlossen, entdeckte Agnes die verhärmte Frau mit ihren vier Kindern, die sich voller Angst in die Ecke drängten. Eines magerer als das andere, waren sie doch sauber und ordentlich gekleidet, auch wenn ihre Röcke und Beinkleider schon sichtlich bessere Zeiten gesehen hatten. Agnes versuchte zu lächeln.
«Wir tun euch nichts zuleide. Wir haben nur Hunger.»
«Wir haben selbst nichts zu beißen», knurrte die Frau böse.
«Das werden wir ja sehen.» Steinhagen stieß den Mann in die Mitte des Raums, die Dolchspitze inzwischen bedrohlich dicht an dessen Hals. «Agnes, mach die Truhe auf.»
«Was seid Ihr nur für ein Scheusal», zischte Agnes und hob den Deckel. Sie fand aber lediglich ein paar sorgfältig zusammengelegte Kleidungsstücke. In der Ecke begannen die Kinder zu heulen.
«Bitte verschont uns», stammelte der Mann. «Wir besitzen nichts mehr als das, was Ihr hier seht.»
«Zu essen und zu trinken werdet Ihr ja wohl im Haus haben. Und saubere Tücher als Verbandszeug.»
Der Mann schüttelte den Kopf.
«Ihr wollt uns wohl am Narrenseil herumführen? Aber wartet, ich werde mit meinen Leuten zurückkommen und das Unterste zuoberst kehren. So schnell werdet ihr uns jedenfalls nicht los.»
«Eure – Leute?»
«Ganz recht. Ein halbes Fähnlein Schweden samt Bagage.»
Die Frau schrie auf. «Schweden? Mann, so gib ihm doch, was wir noch haben.»
Steinhagen lachte auf. «Na also. Euer Weib scheint mir mit mehr Vernunft gesegnet.»
«Niemals!» Die Stimme des Mannes war so leise wie bestimmt. «Das ist die Brotration unserer Kinder. Unser Jüngstes mussten wir bereits zu Grabe tragen. Letzte Woche ist es verhungert.»
«Dann wollt Ihr doch nicht Eure übrigen Kinder zu Waisen machen?» Steinhagen ritzte ihm einen Daumen breit die Haut am Hals auf. Hellrotes Blut perlte hervor.
In diesem Augenblick sprang der größte der Buben zwischen die beiden Männer, der, dem sie gefolgt waren.
«Bitte, gnädiger Herr, verschont den Vater. Morgen früh ist Markt, da gibt es Fleisch und Brot. Bitte! Wir haben doch nichts mehr.»
Verwirrt sah Steinhagen den Jungen an, dann fauchte er: «Geh mir aus dem Weg!»
Doch da umringten ihn auch die übrigen Kinder, baten und bettelten um Schonung. Das Kleinste, das gerade zu laufen und zu sprechen vermochte, zupfte Steinhagen am Rock. In der geöffneten Hand hielt es einen blank geputzten Dreier.
«Für dich. Brot kaufen.»
Die runden blauen Augen strahlten.
Steinhagen blickte von einem Kind zum anderen, dann ließ er den Dolch sinken.
«Was habt Ihr für feine Kinder.» Er strich dem Kleinen übers Haar. «Gebt nur immer gut auf sie Acht.»
Ohne ein weiteres Wort schritt er zur Tür.
«Wartet.» Die Frau zog ein linnenes Tischtuch aus den Kleidungsstücken hervor und reichte es ihm. «Nehmt das für Eure Verwundeten.»
«Danke.»
«Werdet Ihr wiederkommen?»
Zu Agnes’ Erleichterung schüttelte Steinhagen den Kopf. «Wie ich gesehen habe, finden sich genug leere Häuser zur Unterkunft.»
Aus weiter Ferne hörte Agnes seine Worte, sie hallten in ihren Ohren wie ein Echo. Dann gaben ihre Knie nach, und ihr wurde schwarz vor Augen.
Als sie wieder zu
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