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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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sich kam, lag sie auf der Eckbank, den Kopf auf einem zusammengerollten Umhang. Die Frau hielt ihr einen Becher Wasser an die Lippen.
    In kleinen Schlucken trank Agnes den Becher leer, dann nahm sie dankbar den Kanten Brot entgegen und richtete sich auf.
    «Es geht wieder, habt vielen Dank.» Sie erhob sich. «Was ist mit Euch und Eurer Stadt eigentlich geschehen?»
    «Fast alle sind geflohen, ins Eidgenössische, nach Schaffhausen. Der Vogt als Erster.» Die Frau strich sich eine graue Strähne aus der Stirn. «Aus Furcht vor den Kaiserlichen. Jetzt liegen die Felder brach, kein Bäcker ist mehr da, um Brot zu backen, kein Metzger, kein Handwerker, niemand mehr. Alle fort. Mein Mann ist der einzige Ratsherr hier.»
    «Warum seid Ihr geblieben?»
    «Weil unser Vater oben krank zu Bett liegt.»
    «Und Euer Hausrat? Seid Ihr geplündert worden?»
    «Nein. Wir haben Stück für Stück gegen Essen eingetauscht. Geld hat hier längst keinen Wert mehr.»
    Agnes spürte ein Gefühl aufkommen, das sie längst verloren geglaubt hatte: ein tiefes Mitgefühl mit dieser Familie. Sie dankte Gott dafür, dass Steinhagen nicht noch mehr Leid über sie gebracht hatte.
    «Was ist mit den Soldaten in der Stadt? Sind das die kaiserlichen Besetzer?»
    Jetzt ergriff der Ratsherr das Wort. Er lächelte bitter. «ArmeSchweine sind das. Ein Fähnlein Fußvolk, das donauabwärts versprengt wurde. Ihren Hauptmann und Leutnant haben sie verloren. Jetzt warten sie kopf- und führerlos in dieser verlassenen Stadt auf Verstärkung und werden doch nur vor Hunger sterben, wie wir alle. Das ruhmreiche kaiserliche Heer hat sie wohl einfach vergessen. Tuttlingen ist eine Geisterstadt, mit einer Geistergarnison.»
     
    Fünf Tage und vier Nächte blieben sie in Tuttlingen, in einem großen Haus nahe dem Marktplatz. Und es war eine Geisterstadt. Kein Lachen, kein Kindergeschrei auf den Gassen, nicht mal das Grölen betrunkener Söldner. Und ähnlich wie in ihrer Höhle auf der Alb war auch hier die Zeit abhanden gekommen. Es gab keine Turmuhren, keine Glocken, die den Tageslauf bestimmten, denn die Uhren waren zerschossen, die Glocken eingeschmolzen. Welcher Handwerksmeister, welcher Amtsschreiber, welche Waschfrau hätte sich auch nach dem Stundenschlag richten sollen? Bis auf fünf, sechs Familien und die zerlumpten Fußknechte lebte niemand mehr hinter diesen Mauern. Auf dem Markt, der jeden Tag stattfand und seinen Namen als solchen nicht verdiente, bot jedermann an, was er gefunden hatte: Eicheln und Schnecken, das Fleisch verendeter Pferde, Hunde und Katzen oder gekochte Tierhäute. Und im Tausch hierzu alles, was in den Häusern nicht niet- und nagelfest war.
    Zwei der Verwundeten starben Steinhagen unter den Händen weg. Er ersuchte den Ratsherrn, den er in Ermangelung eines Pfarrers holen ließ, um eine Bestattung auf dem protestantischen Kirchacker, da es sich bei seinen schwedischen Soldaten um gläubige Lutheraner handle. Als der Ratsherr sofort einwilligte und beim Begräbnis obendrein die Leichenpredigt hielt, nahm Steinhagen dies so hoffärtig hin, als sei er der Obervogt dieser Stadt. Agnes hingegen war beschämt angesichts der Güte dieses Mannes und aufgebracht über die Selbstgefälligkeit des Rittmeisters.
    In dieser Nacht, ihrer letzten in Tuttlingen, nahm sie ihre Decke und wanderte in eine andere Kammer. Steinhagen, den sie schlafend gewähnt hatte, lief ihr nach.
    «Agnes! Warum hasst du mich?»
    «Hass!» Sie schob verächtlich die Unterlippe vor. «Das wäre ein viel zu großes Gefühl, als dass Ihr es verdient hättet.»
    «Hast du denn vergessen, dass ich dich bei dem Überfall gerettet habe?»
    «Nein. Aber inzwischen wäre mir lieber, Ihr hättet mich meinem Schicksal überlassen.»
    «Begreifst du denn nicht, dass ich dich lieb gewonnen habe? Dass – dass ich dich liebe?»
    Im Mondschein, der durch das Fenster drang, sah sie, dass seine Augen glänzten.
    «Liebe! Ihr beschafft Euch Frauen wie ein neues Pferd. Daraus kann niemals Liebe werden.»
    «Was ist daran verkehrt? So wie mir ein gutes Pferd ans Herz wächst, so kann mir auch eine Frau ans Herz wachsen.»
    «Ich bin also nicht mehr wert als ein Pferd?»
    Er schüttelte den Kopf. «Du verstehst mich falsch.»
    Doch Agnes glaubte, ihn ganz richtig zu verstehen. Dies war seine Art von Liebe, zu mehr war er nicht fähig.
    «Wenn Ihr auch nur einen Funken Achtung für mich empfindet, dann lasst mich künftig nachts in Ruhe.»
     
    Sie zogen weiter durch den strahlenden

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