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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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den Karren und kicherte.
    «Eier   – Schwanz – alles ab!»
    Blitzschnell kletterte die Alte auf den Rücken des Zugpferds, während der Rittmeister auf dem hübschen Braunen herangetrabt kam. Er bemerkte Agnes’ fassungslosen Blick und zuckte die Achseln.
    «Ich konnte es nicht verhindern.»
    Agnes’ Magen zog sich zusammen, ihre Kehle brannte, doch es gab keine Tränen mehr, die sie hätte weinen können. Jetzt erst begriff sie, was Andres durchgemacht hatte, als vor seinen Augen seine gesamte Familie geschändet und gemeuchelt wurde. Ein Wunder, dass er darüber nicht gänzlich den Verstand verloren hatte. Was war eigentlich schlimmer: Jener eisige Winter in ihrer Alraunhöhle oder dieser Marsch als Soldatenhure und Gefährtin von Plünderern, Schändern und Mördern?
    Zurück im Lager, wich sie Andres’ fragenden Blicken aus. Zum ersten Mal stieß sie in dieser Nacht den Rittmeister von sich weg.
     
    Dort, wo sich die Donau ihr Bett durch den weichen Kalkstein der Alb gefressen und eine bizarre Felsenlandschaft geschaffen hatte, wo Höhlen und steile Schluchten sich über ihr blaugrünes Band erhoben, gerieten sie an einem der ersten heißen Tage in einen Hinterhalt. Sie hatten drei Tage gerastet, in einem wildreichenWald südlich von Sigmaringen, nun sollte es zügig weitergehen auf ihrer letzten Etappe hin zur eidgenössischen Grenze.
    Andres hatte es vorausgesehen.
    «Das alles bleibt nicht ungesühnt», hatte der Junge die letzten Tage ein ums andere Mal prophezeit. Nach wie vor weigerte er sich, auf Beutefang zu gehen. Ansonsten tat er alles, was man von ihm verlangte, willig und ohne Widerworte. Diese scheinbare Sanftmut wurde in der Truppe nicht selten zur Zielscheibe des Spottes, doch auch wenn die anderen ihren Schabernack mit ihm trieben, blieb er gelassen. Er sprach nur noch, wenn eine Antwort gefordert war, ansonsten schwieg er den ganzen Tag. Nur mit Agnes wechselte er hin und wieder ein Wort. Es war, als habe er mit der äußeren Welt abgeschlossen und lebte nur mehr ganz für sich, in seinem stillen, friedlichen Inneren. Abends aber, wenn er seine Fidel nahm, brach er sein Schweigen. Dann begann er zu erzählen in der Sprache der Musik, und nur Agnes verstand ihn. Er erzählte von seiner Familie, die am sternenbesäten Himmel über ihn wachte, vom Bösen und Guten in dieser Welt, von Liebe und Hass, Leben und Tod. Dann trieb es sogar den schlimmsten Teufeln unter den Männern die Tränen in die Augen.
    «Es bleibt nicht ungesühnt», hatte er auch an diesem Morgen wieder gesagt, als sie ihren Marsch auf dem schmalen Wiesenstreifen oberhalb des Flusslaufes fortsetzten. «Doch nicht Gott wird strafen», setzte er diesmal hinzu, «Gott hat sich von den Menschen zurückgezogen.»
    Bald brannte die Mittagssonne erbarmungslos in das enge Tal, die wenigen Bäume geizten mit Schatten. Agnes wischte sich den Schweiß von der Stirn. Vor ihr stolperte Andres müde neben seinem Packpferd her, und einmal mehr schämte sie sich dafür, dass Steinhagen ihr eines seiner Reitpferde überlassen hatte.
    Da geriet der Zug ins Stocken. Agnes trieb ihr Pferd an die Spitze, wo der Rittmeister vor einem umgestürzten Baum stand, der den gesamten Fahrweg versperrte. Der mächtige Stamm sahaus, als liege er hier schon länger, ein notdürftig aufgeschütteter Schotterweg führte rechter Hand weg in ein Seitental.
    «Verdammter Hurenscheiß», entfuhr es Steinhagen. «Hätten wir nur den Weg auf der anderen Flussseite genommen.»
    Er betrachtete angestrengt das Seitental, das eng und recht steil nach oben auf die Hochebene zu führen schien, ritt ein paar Schritte voraus, dann lud er seine Reiterpistole und winkte den anderen zu folgen.
    Agnes beeilte sich, zu Steinhagen aufzuschließen.
    «Sollten wir nicht besser umkehren? Ich habe kein gutes Gefühl.»
    Steinhagen sah sie erstaunt an. Es kam höchst selten vor, dass Agnes ihn untertags ansprach. Die Spur eines Lächelns umspielte seine Lippen.
    «Hast du etwa Angst? Dann bleib nur dicht bei mir, dann geschieht dir schon nichts.»
    Der Schotterweg, obgleich er stetig bergan führte, war selbst für ihre Karren erstaunlich gut befahrbar. Plötzlich aber hörte er hinter einer Kurve auf, als habe jemand ein Band durchschnitten. Vor ihnen ragte eine steile Felswand auf.
    Steinhagen erbleichte.
    Im nächsten Augenblick stürmten von allen Seiten die Angreifer auf sie ein. Agnes riss ihr Pferd herum, versuchte den Stößen der Heugabeln, Hämmer und Äxte zu entkommen,

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