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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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sah noch, wie Steinhagen um sich schoss, wie die meisten ihrer Truppe versuchten, über die steilen Waldhänge zu entkommen, da strauchelte ihr Pferd und sie landete im Gestrüpp. Sie musste zum Fluss, sie war eine gute Schwimmerin, nur so würde sie sich retten können. Vorbei an den aufeinander einschlagenden Männern und Frauen rannte sie zu Fuß weiter, ein pockennarbiger Kerl, das Gesicht zur hasserfüllten Fratze verzerrt, sprang ihr in den Weg, da traf ihn ein Dolchstoß mitten in die Kehle, sein Blut spritzte ihr ins Gesicht. Es war Steinhagen, der sie jetzt bei der Hand nahm undmit sich riss, er schien denselben Gedanken zu haben, drängte sie hinunter ans Ufer, hieb mit seinem Dolch wütend um sich, bis sie den rettenden Fluss erreicht hatten.
    «Kannst du schwimmen?», schrie er.
    «Ja.»
    Im nächsten Moment warfen sie sich in die trägen Fluten der Donau.
    Als ihre Füße festen Grund fanden, wagte Agnes aufzutauchen.
    «Hierher», zischte Steinhagen. Er stand bis zum Kinn im Wasser, im Schutz überhängender Zweige einer Weide. Selbst hier am Ufer hörten sie das Wutgebrüll der Bauern, die Todesschreie der Sterbenden, als seien sie mitten unter ihnen. Endlich verstummte der Lärm, und sie sahen die Angreifer mit ihren Pferden und Maultieren davontraben. Steinhagen kletterte aus dem Fluss, dann half er ihr die Böschung hinauf.
    «Warte hier», sagte er.
    «Nein. Ich muss Andres finden.»
    Auf halbem Wege versagten Agnes die Beine, und sie sank auf die Knie. Was sich ihnen vor der Felswand darbot, war ein Bild unvorstellbaren Grauens: Die leeren Karren lagen zerschlagen am Wegrand, dazwischen die Körper Dutzender Frauen und Männer. In ihrer Raserei hatten die Bauern es nicht beim Plündern belassen – manchen der Opfer waren Ohren und Nasen abgeschnitten, anderen Hände und Füße abgehackt oder die Augen ausgestochen. Aber das Schlimmste: Sie hatten die Verstümmelten in ihrer qualvollen Pein einfach liegen gelassen, ihnen nicht einmal die Gnade des Todes gewährt. Nackt und blutüberströmt wanden sie sich nun wie Würmer im Dreck, stöhnten, ächzten, röchelten.
    Steinhagen lief auf dem Kampfplatz hin und her, bis er fand, was er gesucht hatte – eine Sturmbüchse samt Pulverhorn.
    «Verschwinde, Agnes, geh hinunter zum Fluss!»
    Doch Agnes war wie gelähmt. Mit aufgerissenen Augen sah sie zu, wie der Rittmeister in fieberhafter Eile die Büchse lud und an den ersten Schwerverletzten herantrat, dessen Unterleib im Blut schwamm. Es war der Bursche, der sich als Erstes an die Nonnen herangemacht hatte. Sie hatten ihm das Geschlecht herausgeschnitten.
    «Jetzt hau endlich ab», brüllte Steinhagen und zielte auf den Jungen.
    In dem Moment, als der erste Schuss fiel, entdeckte Agnes nur wenige Schritte vor sich Kristin. Auf allen vieren kroch die Alte auf sie zu, aus ihrem Bauch quoll eine blutige Masse.
    Da sank Agnes in sich zusammen. Wie aus weiter Ferne hörte sie die Schüsse aus Steinhagens Büchse, viele, viele Male krachten sie durch den Wald, verdichteten sich zu einem einzigen Höllenkonzert. Dann herrschte Stille.
    Sie hob den Blick. Steinhagen stand mit gesenktem Kopf inmitten der Leichen. Plötzlich begann er zu brüllen:
    «Ihr Hundsfötter, kommt endlich heraus.»
    Sein Reitbursche erschien als Erster. Er zitterte am ganzen Leib. Steinhagen sprang auf ihn zu und schüttelte ihn.
    «Du elender Feigling! Du verdienst einen schlimmeren Tod als die hier alle.»
    «Gnade», wimmerte der Bursche. «Bitte verschont mich.»
    Derweil schlichen nach und nach die anderen Geflohenen aus dem Unterholz, die Hand voll Kinder des Trosses mit verstörten Gesichtern. Ganz offensichtlich hatten die Bauern sie laufen lassen, denn es fehlte keines von ihnen.
    Steinhagen ließ seinen Burschen los. «Helft mir, die Verletzten zu verbinden. Dann sucht zusammen, was sie uns gelassen haben. Wir müssen so schnell wie möglich verschwinden.»
    «Ihr könnt verschwinden, aber ohne Agnes und mich.»
    «Andres!»
    Agnes rannte auf ihn zu und schloss ihn in die Arme.
    «Dem Herrgott sei Dank – du bist unverletzt.»
    Ihr Freund stieß ein gequältes Lachen aus. Dann rieb er seine Handgelenke, auf denen noch immer die Abdrücke der Fesseln zu erkennen waren. «Sie haben mich sogar befreit.»
    «Pfoten weg von Agnes!» Der Rittmeister hob seine Büchse. «Sie gehört zu mir.»
    Andres schob den Lauf der Waffe zur Seite. «Du hast keine Kugeln mehr. Ich hab es gesehen. Den Letzten hast du erschlagen müssen. Komm,

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