Die Gauklerin
indessen bedachte sie mit einem äußerst misstrauischen Blick.
«Das ist Käthe, die Wirtschafterin und heimliche Meisterin der oberen Burg», sagte Widerhold. «Käthe, das ist Agnes Marxin aus Stuttgart.»
«Das haben die Spatzen bereits von den Dächern gepfiffen», knurrte die Frau und zog sich ohne ein weiteres Wort der Begrüßung zurück. Schade, dachte Agnes, dabei sprach die Frau so schön Oberschwäbisch.
Der Kommandant sah Käthe nach, dann zuckte er die Schultern.
«Lasst uns beten.»
Sie falteten die Hände und lauschten mit gesenktem Kopf Widerholds Worten. Agnes warf einen verstohlenen Blick auf ihr Gegenüber: Sandor Faber war völlig in sein Gebet versunken, seine schönen Gesichtszüge drückten Ernst, fast Schwermut aus.
«Amen!»
«Amen», kam es mehrstimmig zurück.
Faber sah auf, und ihre Blicke trafen sich. Er lächelte wieder.
«Und nun», forderte der Kommandant Agnes auf, «greift ungefragt zu.»
Während des Essens erfuhr sie, dass Burg Hohentwiel eine der letzten württembergischen Landesfestungen war, die den Kaiserlichen noch trotzte. Konrad Widerhold hatte sie kurz nach der Nördlinger Schlacht übernommen und auf Gott und sein Leben geschworen, die Festung niemals an jemand anderen zu übergeben als an ihren rechtmäßigen Herrn, Herzog Eberhard von Württemberg.
Sie erfuhr noch mehr: Nicht nur die beiden Tübinger Bibliotheken, die von unschätzbarem Wert waren, auch die Stuttgarter Bibliothek, das Archiv und die Kunstkammer seien von Offizieren geraubt und nach München und Wien überführt worden.
«Selbst die Wandvertäfelungen der herzoglichen Gemächer haben sie herausgerissen», berichtete Faber. «Kein Wunder – residiert doch inzwischen dieser Grobian und Trunkenbold Gallas im Schloss.»
«Wie gut, dass Prinzessin Antonia dies alles nicht mit ansehen musste», murmelte Agnes.
«Sie sollte der Residenz ohnehin besser fern bleiben, wie Ihr selbst im Übrigen auch», sagte Burmeister. Faber warf dem Arzt einen warnenden Blick zu.
«Wie meint Ihr das?», fragte Agnes.
«Das Soldatenvolk hat die Pest eingeschleppt. Es sind wohl schon über tausend Tote zu beklagen. Kapellmeister Froberger und seine Frau sind auch unter den Opfern. Den berühmten Baumeister Schickhardt hingegen hat die Soldateska zu Tode gestochen, als er sein Haus verteidigen wollte.»
«O Gott!» Agnes erbleichte.
Jetzt begannen Fabers Augen zornig zu funkeln. «Hör auf, unseren Gast zu ängstigen. Über das genaue Ausmaß wissen wir doch gar nichts, das sind alles nur Gerüchte. Fest steht, dass es die Residenz im ganzen Herzogtum noch am besten getroffen hat.» Er sah Agnes beruhigend an. «Schließlich ist sie von Zerstörung und Brandschatzen verschont geblieben. Macht Euch also nicht unnötig Sorgen.»
«Dein Wort in Gottes Ohr», brummte Burmeister und schenkte sich nach.
«Mein Adjutant hat Recht», ergriff Widerhold das Wort. «Der Kaisersohn hat sich Stuttgart wohl als Zentrum der Rekatholisierung gedacht und wacht daher mit Argusaugen über die Einhaltung des Schutzbriefs. Außerdem scheint er mir von etwas freiheitlicherer Gesinnung als sein Vater.»
«So freiheitlich, dass seine Jesuiten die Grabsteine unserer Geistlichen aus der Stiftskirche geworfen haben.» Burmeisters Worte kamen schon nicht mehr ganz deutlich.
«Zumindest dürfen wieder protestantische Gottesdienste abgehalten werden.»
«Ja, unser Herrgott hält die Hand über unsere kleine Residenz.» Burmeister wollte Agnes nachschenken, doch sie wehrte ab. Der ungewohnte Wein stieg ihr zu Kopf. «Er hat sogar den Ersten dieser Patres zu sich geholt. Ein wenig zu laut hatte dernämlich von der Goldenen Kanzel gewettert, der schwarze Tod sei die Gottesstrafe für unser ungläubiges Ketzertum! Drei Tage später ist er selbst an der Pest krepiert. Kann man sich da einer gewissen Schadenfreude erwehren?»
Agnes ertappte sich, wie ihr Blick den des Adjutanten suchte, der sie unablässig beobachtete. Dabei stand ihr Urteil fest: Der Mann war ein Schmeichler, ein Frauenheld. Sie schob ihren Teller zurück. In ihrem Kopf schwirrte es von all den Eindrücken.
«Woher wisst Ihr das alles?»
«Seid Ihr auf Eurer Reise niemals Kurieren begegnet?» Fabers Stimme war tief und warm, wie der Mittagswind an einem sonnigen Frühlingstag.
Agnes schüttelte den Kopf. «Ein einziges Mal nur. Bei Rittmeister Steinhagen.»
«Seht Ihr!» Jetzt lächelte Faber wie ein Schulbub, der die Lösung einer Aufgabe parat hatte. «Dabei wimmelt es
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