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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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im Land von Kundschaftern und geheimen Boten. Das sind die wahren Helden eines Krieges, nicht die Schlächter und Feldherren. Unter Lebensgefahr schmuggeln sie Nachrichten in winzigen Briefen noch durch den dichtesten Belagerungsring. Machen sich unsichtbar, wenn es die Umstände fordern, und geben sich zu erkennen, wenn sie an ihrem Ziel angelangt sind. Wir zum Beispiel, auf unserem Berggipfel inmitten des Feindeslands, erhalten alle drei, vier Wochen Zeitung aus der Residenz und vom Straßburger Hofstaat.»
    «Leider war die letzte nicht so erbaulich», sagte der Kommandant und erhob sich. «Verzeiht, wenn ich mich zurückziehe», er verneigte sich leicht gegen Agnes, «auch wenn mir dieser Abend mit Euch der angenehmste seit langem war. Doch mein Leutnant und ich müssen nach der Wache sehen.»
    Jetzt erst wurde Agnes gewahr, dass Leutnant Althaus sich an den Gesprächen mit keinem Wort beteiligt hatte. Auch in diesem Moment nickte er ihr lediglich zu, mehr finster als höflich, und ging zur Tür.
    «Dann möchte ich mich ebenfalls verabschieden.» Müdigkeit und Erschöpfung schlugen wie eine Welle über Agnes zusammen, und sie spürte, wie ihre Beine zitterten, als sie sich erhob. «Nur noch eine Frage, Herr Kommandant: Wann kann ich nach Stuttgart zurückkehren?»
    «Mit dem nächsten württembergischen Kurier. Seid versichert: Unter dem Schutz der Kuriere gelangt Ihr sicher nach Hause. Mein Adjutant hat Euch übrigens nicht umsonst so von deren Fähigkeiten vorgeschwärmt.» Er grinste. «Er muss es ja wissen. Schließlich war er lange Zeit selbst einer. Und nun schlaft wohl. Ach ja: Leider war der letzte Bote erst vor wenigen Tagen hier, Ihr müsst Euch also noch einige Zeit gedulden.»

36
    Agnes erwachte erst zur Mittagszeit. In ihrem herrschaftlichen Bett fühlte sie sich so satt, sauber und geborgen, als habe es die Strapazen der letzten Monate nie gegeben. Dann aber schoss ein einziges Wort in ihr vom langen Schlaf noch wohlig umnebeltes Bewusstsein: Pest. In Stuttgart wütete die Pest, und sie hatte keine Möglichkeit zu erfahren, wie es um ihre Familie, ihre Freunde stand. Sie musste heraus aus dieser Festung, in der sie wie in einem goldenen Käfig gefangen saß.
    Sie öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus. Der Blick ging nach Morgen hin, über den riesigen See, der jetzt silbern in der Sonne lag, die Berge waren im Dunst nur zu erahnen. Makellos schön und friedlich bot sich die Landschaft dem Auge dar, keine Trümmer und Ruinen, keine zerfetzten Leiber waren von dieser himmelhohen Bergspitze zu sehen, keine Schmerzensschreie zu hören. War vielleicht auch der Herrgott selbst droben im Himmel zu weit entfernt, um all das Elend zu erkennen? Sofortschämte sie sich für diesen blasphemischen Gedanken und faltete die Hände.
    Energisches Klopfen unterbrach ihr Gebet.
    «Ja, bitte?»
    Käthe trat ein, mit einem Krug, aus dem es nach warmer Milch duftete. Freundlich wünschte ihr Agnes einen guten Morgen.
    «Euer Morgenmahl», entgegnete die Frau mürrisch.
    «Herzlichen Dank. Ihr meint es wirklich gut mit mir.»
    «Der Herr Obrist, wollt Ihr wohl sagen.»
    Am Vorabend hatte Agnes die Frau nicht näher beachtet, doch jetzt fiel ihr auf, was für eine Schönheit sie einst gewesen sein musste, mit ihrem langen Hals und den ebenmäßigen Zügen. Jetzt wirkte sie wie eine im Verwelken begriffene Rose und obendrein sehr verbittert.
    «Seid Ihr schon lange auf der Burg?»
    «Allzu lange.» Sie wandte sich zur Tür. «Der Adjutant bittet Euch ins Kabinett, sobald Ihr gerichtet seid.»
    Wenig später stieg Agnes die Treppen hinab in die kühle Eingangshalle. Bevor sie sich fragen konnte, wo sich das Kabinett wohl befand, hörte sie Fabers und Widerholds Stimmen. Sie trat an eine mit Leder gepolsterte Tür, die nur angelehnt stand.
    «Der Kerl ist vernagelt wie ein Maulesel. Kein Sterbenswort kommt über seine Lippen», hörte sie Widerhold sagen, dann seinen Adjutanten: «Auf jeden Fall scheint mir geboten, in Alarmbereitschaft zu bleiben. Bis auf Eure Leibgarde sollten wir alle Soldaten auf die untere Burg verlegen.»
    «Gleichwohl müssen wir aufhören, diesen Maulwurf mit Samthandschuhen anzufassen.» Das klang nach Leutnant Althaus. «Schließlich habe ich noch ganz andere Pfeile im Köcher.»
    Agnes klopfte laut gegen den Türrahmen. Augenblicklich wurde die Tür aufgerissen, und Faber stand vor ihr. Sein Gesicht strahlte.
    «Habt Ihr gut geschlafen?»
    «Wunderbar.»
    «Wie wäre es dann mit einem

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