Die Gauklerin
sich und flüsterte: «Gott möge mir helfen, dass ich Euch so schnell wie möglich vergesse.»
Dann drehte sie sich brüsk um und folgte dem Kommandanten über den Burghof. Er zog sie hinter sich auf den Sattel, und sie machten sich an den Aufstieg. Ein letztes Mal wandte sie sich um. Steinhagen stand unverändert an derselben Stelle und starrte hinter ihr her.
Die Entbehrungen der letzten Monate hatten sie geschwächt, und so war sie froh, nicht zu Fuß gehen zu müssen, denn derWeg zog sich schier endlos hin. Dennoch: Sie hätte diesen steilen Aufstieg selbst mit einem Stein auf dem Rücken bewältigen mögen, denn mit jeder Pferdelänge, die sie höher stiegen, wurde ihr leichter ums Herz, entfernte sie sich weiter von den Gefahren der Landstraße, von der verwahrlosten Meute des Rittmeisters. Der heftige Schwindel, der sie packte, als sie das erste Mal über Widerholds Schulter nach unten sah, war schnell vorüber, und sie fühlte sich wie ein Adler, der hoch durch die Lüfte segelt. Spielzeugklötzen gleich lagen die Häuser eines Landstädtchens unter ihnen, die Felder, Hügel und Wälder bildeten ein anmutiges Muster, das hier und da von den langen Schatten der umliegenden Bergkegel unterbrochen war. Dann aber, als der Weg nach einem der Tore eine scharfe Wendung nahm, verschlug es ihr den Atem: In der Ferne schimmerte im Abendlicht ein riesiger See, den schneebedeckte Bergzacken überragten, so nah und scharf gezeichnet, als seien sie mit Händen zu greifen.
«Wie herrlich», entfuhr es ihr.
Der Kommandant wandte sich um. «Es freut mich, dass Ihr diesen Ausblick genießt. Leider habe ich mich schon allzu sehr daran gewöhnt, als dass ich ihn gebührend bewundern könnte. Stattdessen empfinde ich immer nur die Beschwernisse des Aufstiegs. Doch man kann sich sein Zuhause nicht immer aussuchen, nicht wahr?»
Agnes überlegte noch, was sie entgegnen sollte, da sprach er bereits weiter: «Vielleicht ist Euch nicht entgangen, dass ich wider jede Etikette gehandelt habe. Ich hätte Euren Rittmeister, als Offizier, ebenfalls auf meine Burg einladen müssen. Doch, um ehrlich zu sein, glaube ich ihm kein Wort, zumindest was Euch betrifft.»
Er suchte ihren Blick, doch Agnes schlug die Augen nieder. Niemals würde sie ihm erzählen, in welcher Weise sie an Steinhagens Seite gelebt hatte.
Widerhold räusperte sich. «Nun, das hat jetzt auch keine Bedeutung mehr. Hier seid Ihr in der ältesten Feste unseres Schwabenlandes,und sie ist uneinnehmbar. Ihr seid also in Sicherheit. Eines jedoch müsst Ihr mir verraten: Warum habt Ihr in diesen unglückseligen Zeiten Stuttgart verlassen, dazu als Frau und ganz allein? Immerhin steht die Residenz unter dem Schutz des Kaisersohns.»
«Ich war gar nicht allein, zumindest anfangs nicht.»
In wenigen, nüchternen Worten berichtete Agnes, wie sie ihrer sterbenden Mutter zuliebe auf die Suche nach ihren beiden Brüdern gegangen war, die dieser Krieg zu Gegnern gemacht und die sie in Nördlingen zu finden gehofft hatte.
Widerhold pfiff durch die Zähne. «So eine Unternehmung kann nur einer Frau einfallen.»
Sie vermochte nicht einzuschätzen, ob in dieser Bemerkung Bewunderung oder Missbilligung überwog.
«Es war nichts als kopflos und töricht», entgegnete sie beschämt. Dann schwieg sie und war erleichtert, als sie kurz darauf das mächtige Tor der oberen Festung erreichten. Es dämmerte bereits. Nachdem der letzte Reiter ihres Trupps den Graben überquert hatte, schloss sich hinter ihm mit lautem Ächzen und Rasseln die Zugbrücke. Plötzlich traf sie die Erkenntnis wie ein Blitzschlag: Sie war schon wieder gefangen, sie war Konrad Widerhold mit Haut und Haar ausgeliefert. Dabei machte sie sich nichts vor: So freundlich und höflich ihr der Kommandant bislang begegnet war – er war auch nur ein Mannsbild, den es in dieser Männerwelt nach Frauen dürstete. Hatte sie in Steinhagens Tross zumindest noch die Hoffnung hegen dürfen, eine Gelegenheit zur Flucht zu finden, so war ihr diese jetzt vollkommen genommen. Mutlosigkeit überkam sie.
Widerhold half ihr vom Pferd. Dann stutzte er.
«Was ist mit Euch? Weint Ihr?»
Sie schüttelte den Kopf. «Ich bin nur erschöpft.»
«Und hungrig sicher auch. Ihr werdet sehen, mit vollem Magen sieht die Welt gleich anders aus.»
Vor dem Hauptportal des Burgschlosses erwartete sie ein Mann, der weder Waffen noch Harnisch trug. Von der Statur her glich er Rittmeister Steinhagen, fast war er noch größer und kräftiger. Damit
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