Die Gauklerin
Rundgang durch die Burg?»
«Sehr gern.»
Als sie auf den Burghof traten, schlug ihnen hochsommerliche Hitze entgegen, obwohl es bereits September war. Faber zog die Augenbrauen hoch. «Das sieht mir nach Gewitter aus.» Er bot ihr seinen Arm. «Ein Gewitter hier oben ist ein unvergleichliches Schauspiel. Die liebe Käthe versteckt sich dann immer in unseren unterirdischen Gängen.»
«Vielleicht zeigt Ihr mir die zuerst. Ich hab nämlich ebenfalls Angst vor Gewitter.»
«Das glaube ich Euch nicht. Eine so mutige Frau wie Ihr.»
Er sah ihr einen Moment zu lange in die Augen, und sie spürte, wie sie errötete. «Ihr wolltet mich herumführen!»
«Ja, selbstverständlich. Nun – dort hinten seht Ihr das Wirtschaftsgebäude mit den Stallungen und dem Zeughaus. Auf der Burg sind neun Geschütze verteilt, dafür haben wir einen Vorrat von fünftausend Eisenkugeln. Im Zeughaus lagern dreißig Zentner Blei und je zweihundert Zentner Salpeter und Pulver. Dazu zweihundertfünfzig Musketen, Handrohre und Sturmbüchsen, tausend Spieße, über hundert Feldharnische.»
«Da ist ja eine Windmühle», unterbrach sie ihn. Faber lachte.
«Verzeiht mir. Wie konnte ich vergessen, dass eine Frau an meiner Seite ist und kein Generalmajor. Kommt, ich zeige Euch die Mühle. Wir machen hier nämlich unser Mehl selbst.»
Zu Agnes’ Erstaunen fand sich hier oben fast alles, was auch in einem Dorf oder Landstädtchen zu finden gewesen wäre. Es herrschte dieselbe rege Betriebsamkeit: Vor der Mühle wurden Getreidesäcke auf einen Karren geladen, aus der Schmiede drangen Rauch und der helle Schlag auf den Amboss, an der Wasserpumpe ließen zwei Männer große Bottiche volllaufen, und aus dem Backhaus verbreitete sich verführerisch der Duft frischenBrots. Ungewöhnlich war einzig, dass sie fast nur Männer zu sehen bekam, vermutlich allesamt Soldaten.
«Eine kleine Welt für sich», sagte Agnes, als sie sich unter dem lichten Geäst einer jungen Linde auf eine Bank setzten.
Sandor Faber nickte stolz. «Und das hier ist unsere Dorflinde, wo sich die Männer abends zum Schwatz einfinden. Ihr müsst wissen, dass wir die Festung in äußerst verwahrlostem Zustand vorgefunden hatten. Munition und Lebensmittel für die Besatzung fehlten gänzlich, und so musste erst einmal vom Feinde das Nötigste beschafft werden. Vor allem aber mussten die umliegenden Burgen, welche der Festung gefährlich werden konnten, zerstört werden, was manch langwierigen Kampf erforderte. Danach erst konnten wir uns an die Instandsetzung machen. Was Ihr hier also seht, ist Widerholds Werk. Alles zwar schlicht und schmucklos, jedoch äußerst funktional und durchdacht. Im Augenblick sitzt er an den Plänen für eine Kirche, die hier oben errichtet werden soll.»
Ein Wasserträger kam die Mauer entlang.
«Wartet. Ihr habt sicher Durst.»
Mit großen Schritten eilte Faber zu dem Mann und kehrte mit einem gefüllten Becher zurück, den er ihr vorsichtig reichte. Ihre Hände berührten sich.
«Danke.»
Ohne abzusetzen, trank sie den Becher halb leer. Das kühle Wasser schmeckte herrlich, als sei es geradewegs einer Bergquelle entsprungen.
«Wie kommt Ihr eigentlich zu Euren Vorräten? Ich meine, Ihr bewirtschaftet doch sicher keine Felder, oder?»
«Nun, versteht mich nicht falsch – wir holen uns, was wir brauchen, im feindlichen Umland. Oder wir nehmen unter den kaiserlichen Soldaten Geiseln, um sie gegen Lösegeld freizulassen.»
«Ihr geht also auf Beute, wie jeder andere Soldat auch», sagteAgnes leise. «Getreu dem Grundsatz, dass Plündern dem Geplündertwerden vorzuziehen sei.»
Faber biss sich auf die Lippen.
«Wir müssen nun mal diese Festung halten und unsere Leute versorgen.» Er griff nach ihrer Hand. «Glaubt Ihr mir, wenn ich Euch versichere, dass wir die Menschen stets unbehelligt lassen? Dass Widerhold jede Gewalttat streng ahndet?»
Sie zog ihre Hand zurück. Doch von dem Blick aus seinen dunkelgrünen Augen konnte sie sich nicht lösen. Ein leichter Schauer fuhr über ihren Nacken.
Schließlich sagte sie: «Ich glaube Euch.»
«Darf ich nun meinerseits Euch etwas fragen?»
Sie nickte.
«Ihr wart die Gefangene dieses Rittmeisters, habe ich Recht?»
Wieder nickte sie.
«Hat er – hat er sich Euch gegenüber wie ein Ehrenmann betragen?»
Sie betrachtete erst ihre staubige Schuhspitze, dann das schwere Gewölk, das von Westen her aufgezogen war. «Ich denke, wir sollten ins Burgschloss zurück. Das Unwetter kommt näher.»
Faber
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