Die Gauklerin
hörte die Ähnlichkeit aber auch auf. Seine Züge waren weich, die dunkelgrünen Augen unter den fein gezeichneten schwarzen Brauen blickten ihr offen entgegen, und die geschwungenen vollen Lippen hatten fast etwas Weibliches. Ohne die etwas zu groß geratene leicht gebogene Nase und die Narbe auf dem Kinn wäre sein bartloses Gesicht makellos schön zu nennen gewesen.
«Endlich wird meine Neugier belohnt.» Der Fremde strich sich die widerspenstigen dunklen Locken aus der Stirn. «Gestatten – Sandor Faber, Adjutant des Festungskommandanten. Ich habe Euch vom Burgfried aus beobachtet. Dass unser Ehrengast allerdings eine Frau ist, noch eine so anmutige dazu, hätte ich nicht zu erwarten gewagt.» Er verneigte sich. «Seid herzlich willkommen auf Hohentwiel.»
Selbst seine Stimme war weich, wenngleich seiner Statur entsprechend tief und kräftig. Mit einem Mal schämte sich Agnes für ihr verwahrlostes Äußeres.
«Agnes Marxin aus Stuttgart.»
«Aus unserem Ländle? Der Überraschungen werden ja immer mehr. Ihr müsst wissen, ich bin zwar von Mutterseite her Ungar, doch Stuttgart halte ich für die schönste Residenz im Reich. Zumal ich dort geboren bin.»
«Jetzt hör auf mit deinem Süßholzgeraspel.» Widerhold schlug ihm auf die Schulter. «Sag uns lieber, ob das Abendessen bereit ist. Unser Gast stirbt gleich vor Hunger. Oder möchtet Ihr Euch lieber erst ein wenig frisch machen, bevor wir Euch zu Tisch bitten?»
«O ja, gern.» Beinahe geriet Agnes ins Stottern. Sie war vollkommen verwirrt von dem Empfang auf dieser Burg. Wie lange schon war man ihr nicht mehr mit Höflichkeit und Anstandbegegnet. «Nur – verzeiht – mir wäre es ehrlich gesagt lieber, in der Küche zu essen. Ich sehe aus wie eine Vagantin, außer diesem zerrissenen Rock besitze ich nichts mehr.»
«Darum sorgt Euch nicht», entgegnete der Kommandant. «In Eurer Unterkunft findet ihr eine ganze Auswahl von Damenkleidern. Wenn auch nicht gerade nach der neuesten Mode.»
Faber bot ihr den Arm. «Dann kommt.»
Er führte sie die Treppe hinauf in eine große Eingangshalle. Von dem hohen, schmucklosen Raum, der selbst jetzt im Hochsommer Kälte ausstrahlte, gingen mehrere Eichenholztüren ab.
«Die linke Tür dort hinten führt in unser Speisezimmer. Kommt einfach herunter, sobald Ihr gerichtet seid.»
Im Treppenhaus, das von winzigen Mauerdurchlässen nur notdürftig erhellt war, stiegen sie drei Stockwerke höher. Der Adjutant entriegelte eine schmale Tür und reichte ihr den Schlüssel.
«Voilà, die Kemenate.» Er entzündete eine Öllampe. «Bei Licht besehen leider nur eine schlichte Kammer, wir leben halt anspruchslos auf unserer Burg. Ich hoffe, Ihr fühlt Euch dennoch wohl.»
Der Adjutant untertrieb maßlos. Der Raum war bestimmt zweimal so groß wie ihre Kammer im Stuttgarter Schloss. In der Mitte erhob sich ein riesiges Bett mit dunkelblauem Himmel, der auf zierlich gedrechselten Säulen ruhte, dahinter stand ein breiter Waschtisch aus Kirschbaum mit einem Spiegel in silbernem Rahmen. Ein blank geputzter Kachelofen verhieß Wärme für die Wintermonate, und die beiden mächtigen Truhen hätten das Gepäck einer Gräfin aufnehmen können. Nur die kahlen grauen Steinmauern, schmucklos bis auf ein schlichtes Holzkreuz, ließen nicht vergessen, dass man sich auf einer Festung befand. Was Agnes hingegen nahezu rührte, war die Sauberkeit ihrer Unterkunft, eine Sauberkeit, die sie inmitten einer von Männern unterhaltenen Burg niemals erwartet hätte. Kein Stäubchen fand sich auf dem Waschtisch, auf dem neben der strahlend weißenWasserkanne Kamm und Bürste bereitlagen, keine Schliere störte den Glanz der Spiegelfläche.
«Es ist wunderschön», sagte Agnes leise. Viel zu schön, dachte sie, denn sie fühlte sich wie eine Gänsemagd, die in einen Tanzsaal geraten war.
«Und hier: die Ankleidekammer.»
Er öffnete die Tür neben dem Waschtisch und ging mit der Lampe voraus. An einer eisernen Stange hingen Dutzende von Kleidungsstücken: Röcke, Mieder, Hemden, Leibchen, Reisekleider, Mäntel und Umhänge, in allen Stoffen, Größen und Farben.
«Wie kommt Ihr in dieser Abgeschiedenheit zu solch einer Menge von Frauenkleidern?»
«Geschenke und Gefälligkeiten.» Er zwinkerte ihr zu. «Nun sucht Euch das Schönste heraus. Wir sehen uns dann später.»
Er schenkte ihr noch ein strahlendes Lächeln, dann zog er sich zurück. Agnes trat an den Waschtisch, streifte ihre schmutzigen Kleider ab und betrachte sich im
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