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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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von diesem Hofkapellmeister empfangen worden. Stattdessen würde er nun für ein paar Batzen in irgendwelchen Kaschemmen und Beizen aufspielen, seine Künste an eine Hand voll besoffener Zechkumpane verschwenden. Aber sie wollte nicht undankbar sein: Kaspar hatte sich seit Tagen die Hacken abgerannt; das mit dem Schellenwirt war immerhin ein Anfang.
    An diesem Abend konnte Kaspar das Kostgeld nicht mehr bezahlen, und auch Agnes hatte ihre restlichen Ersparnisse für den Boten nach Ravensburg ausgegeben.
    «Jetzt wart halt noch zwei, drei Tage, liebe Else.» Kaspar strich der Alten über den runzligen Arm. «Dann hab ich mein erstes Geld im Sack, und du kriegst deinen Anteil.»
    «Das ist mir einen Hennenfurz wert, ob du irgendwann mal Geld haben wirst. Ich will mein Kostgeld jetzt. Und wenn ihr nichts habt, packt ihr morgen halt euer Bündel.»
    »Was bist du für ein undankbares altes Weib.» Agnes wäre der Alten am liebsten an die Gurgel gefahren. «Von früh bis spät rackere ich mich ab und mach euren Dreck weg. Das ist zehnmal mehr wert als dieser Fraß, den du uns hier vorsetzt. Schlechterdings sind wir dir überhaupt kein Kostgeld schuldig.»
    «Das schlägt ja dem Fass den Boden aus! Du kannst dich auf der Stelle vom Acker machen, du aufgeblasene Wachtel. Dir heul ich keine Träne nach.»
    «Jetzt hört schon auf mit eurem Gezänk.» Kaspar schob sich zwischen die beiden. «Hör zu, Else, ich geb euch das Maultier in Zahlung. Falls ich nächste Woche das Kostgeld immer noch nicht parat habe, verkaufen wir’s, und ihr bekommt den halben Erlös.»

5
    Zum ersten Mal seit Monaten sah Matthes seine Mutter wieder lächeln. Das Wiedersehen mit ihrer alten Gauklersfreundin Marusch hatte ihr offenbar gut getan. Bis zum Abendessen war sie mit ihr zusammengewesen, morgen würde Leonhard Sonntags Truppe, die eigens wegen Marthe-Marie über Ravensburg gereist war, weiterziehen zum Bodensee.
    «Euch alle soll ich recht herzlich grüßen.» Marthe-Marie schöpfte erst ihrem Mann, dann ihren Söhnen die Teller randvoll mit Suppe. Es roch köstlich nach Gemüse und Rindfleisch.
    «Wie geht es dem alten Leonhard?», fragte Jonas, nachdem sie das Tischgebet gesprochen hatten.
    «Ach Gott – seitdem ihn die Gicht so plagt, steht er nichtmehr auf der Bühne. Dafür sind seine beiden Söhne umso erfolgreicher. Sie spielen jetzt Stücke von diesem Shakespeare. Sie haben jetzt sogar einen neuen Bühnenwagen, wie die englischen Theatertruppen: Mit Vorder- und Hinterbühne und einer Versenkung im Boden.»
    Matthes hörte die begeisterte Schilderung seiner Mutter mit gemischten Gefühlen. Er musste an Agnes’ Wut denken, damals, nach dem unseligen Streit letzten Sommer. Mutter sei scheinheilig mit ihrer Verurteilung eines Menschen, den sie nicht einmal kenne, auch nicht kennen lernen wolle, nur weil er zu den Spielleuten gehöre. Irgendwie, fand er, hatte Agnes nicht ganz Unrecht. Hätten die Eltern nicht so unnachgiebig die Verlobung mit dem dicken Ulrich vorangetrieben, vielleicht wäre alles anders gekommen. Vielleicht wäre Agnes dann gar nicht auf und davon mit diesem Possenreißer.
    Sie waren alle wie gelähmt gewesen vor Entsetzen, als Agnes an jenem Novembermorgen verschwunden war. Lediglich Jakob schien etwas zu ahnen. Er war es auch, der schließlich das Schreiben unter seiner Bettdecke fand. Mutter war schluchzend zusammengebrochen, Jakob totenblass für den Rest des Tages in seiner Kammer verschwunden, und er selbst, Matthes, hatte Vater zu den Gauklern begleiten müssen. Dort fanden sie einen tobenden und geifernden Prinzipal vor, denn wie erwartet war auch sein Sänger verschwunden, der mit zig Gulden bei ihm in der Kreide stand.
    Von jenem Tag an hatte sich ein düsterer Schleier über das Haus gelegt. Daran änderte auch die Nachricht nicht viel, die sechs Wochen später eingetroffen war. Zwar wussten sie nun, dass Agnes wohlauf war und in der Residenzstadt Stuttgart lebte, doch für die Eltern blieb sie eine verlorene Seele. Als Jakob irgendwann vorgeschlagen hatte, sie sollten doch gemeinsam einen Brief aufsetzen und nach Stuttgart bringen lassen, war Vater in böses Lachen ausgebrochen:
    «Und an wen soll der Bote das Schreiben überbringen? An Agnes Marxin, heimliche Dirne des berühmten Zeitungssingers und Betrügers Kaspar Goldkehl? Wohnhaft in unbekanntem Unterschlupf zu Stuttgart? Agnes hat das Band zu ihrer Familie willentlich zerschnitten. Keiner von uns wird es wieder zusammenfügen. Hast du verstanden,

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