Die Gauklerin
mürrisch und kratzte an ihrer Warze. «Um ein Haar hätten diese verfluchten Spanier nicht nur die Pfalz, sondern auch unser Herzogtum besetzt. Dafür fallen sie jetzt an der Grenze über unsere Dörfer her und plündern sie und brennen sie nieder. Ich sag euch, das wird noch alles übel ausgehen.»
Als Agnes am nächsten Morgen erwachte, lag das Haus totenstill. Nur Kaspars regelmäßige Atemzüge waren zu hören. Sie hatte wider Erwarten tief und fest geschlafen und nicht einmal mitbekommen, wann Kaspar zu Bett gegangen war. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, erhob sie sich von ihrem Strohlager und kleidete sich an. Jetzt erst, im Dämmerlicht des Morgens, sah sie, was für eine heillose Unordnung auf dem kleinen Dachboden herrschte. Allenthalben lagen Kisten und altes Gerümpel unter einer dicken Staubschicht, von den Dachsparren hingen Spinnweben wie graue Schleier, mehrere Eimer standen an Stellen, wo das Dach offensichtlich undicht war. Nach dem Morgenessen würde sie hier erst einmal Ordnung schaffen.
Leise kletterte sie die Holzstiege nach unten. Der Vorhang der Schlafkammer war zurückgezogen, die Bettstatt von Else und Melchert leer. Sie schlüpfte in ein Paar Holzpantinen, die an der Türschwelle standen, und ging zum Hof hinaus. Da entdeckte sie Else vor einem der Schuppen.
«Guten Morgen, Else.»
Statt eines Grußes drückte Else ihr einen Sack mit Körnern in die Hand.
«Bist du endlich auf? Drei Hand voll für die Hühner in unserem Schuppen, danach suchst du die Eier zusammen. Sechs müssen es mindestens sein. Und dann kannst du zum Essen kommen.»
«Schon recht. Warte mal – wo finde ich hier Reitende Boten, die Nachrichten überbringen?»
Else sah sie verständnislos an. «Nachrichten überbringen? Wir schwätzen mit den Leuten, wenn wir was wollen.»
«Ich meine Briefe – nach Ravensburg.»
Else zuckte die Schultern. «Vielleicht am Rotebildtor. Beeil dich, ich muss zur Arbeit. Wegen euch bin ich viel zu spät dran.»
«Du bist Köchin im Schloss, nicht wahr?»
«Wer hat dir denn den Bären aufgebunden? Ich spüle das dreckige Geschirr der hohen Herrschaften, nichts weiter.»
Dieser Schwindler, dachte Agnes und betrat den niedrigen Schuppen. Dann hatte ihr Kaspar damit ebenso ein Märchen aufgetischt wie mit der Behauptung, Melchert sei Winzer. Dass Elses Mann sich als einfacher Taglöhner bei verschiedenen Weinbauern verdingte, hatte sie bereits am Vorabend erfahren.
Während sie in dem bestialischen Gestank des Stalls die Hühner fütterte und immerhin sieben Eier zusammenklaubte, schrieb sie in Gedanken an ihre Eltern: Dass sie mit Kaspar auf dem besten Wege sei, in Stuttgart Fuß zu fassen, und sie sich keine Sorgen machen sollten. Dass sie bei ehrbaren Leuten untergekommen seien und ihr künftiger Ehemann bald seine Stellung als Sänger und Musiker in der Hofkapelle antreten werde.
Ich verbreite schon dieselben Lügen wie Kaspar, dachte sie kopfschüttelnd. Doch um nichts in der Welt hätte sie zugegeben, in was für ein elendes Loch sie hier geraten war. Es war schließlich nur eine Frage der Zeit, bis sich das Blatt zum Besseren wenden würde. Das Einzige, was zählte: Kaspar und sie waren füreinander da.
Als Agnes ins Haus zurückkehrte, löffelte ihr Geliebter mit verquollenem Gesicht seinen Milchbrei.
«Guten Morgen, Prinzessin», flüsterte er heiser und blinzelte ihr zu.
Else reichte ihr ein volles Schälchen. «Mach nachher das Geschirr sauber und räum auf. Bin schließlich nicht eure Dienstmagd.»
Agnes nickte widerwillig und setzte sich neben Kaspar.
«Wirst du dich heute bei diesem Hofkapellmeister vorstellen?», fragte sie.
«Ich denke schon. Das heißt – vorher sollte ich mich mit Lienhard besprechen, schließlich ist er mit Salomo bekannt.»
«Spielt Lienhard auch in der herzoglichen Kapelle mit?»
Elses lautes Lachen ließ Agnes zusammenzucken. «Lienhard spielt vielleicht mit Weibern, aber nicht auf Instrumenten.»
«Was soll das heißen?»
Kaspar verdrehte gequält die Augen. «Nun ja, er ist nicht direkt in der Kapelle. Er hält die Instrumente sauber. So eine Art Knecht des Hofkapellmeisters eben.»
«Das war er, mein Lieber.» Else wickelte sich in ihren Umhang und ging zur Tür. «Salomo hat ihm den Laufpass gegeben, weil er nie zur Stelle war, wenn es Arbeit gab. Geschieht ihm recht, diesem Nichtsnutz. Falls Salomo dich also jemals empfangen sollte, erwähne Lienhards Namen besser nicht. Sonst bist du mit einem Tritt im Arsch gleich
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