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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Gott gesetzten Obrigkeit unterworfen, dann hätten sie auch auf Gnade rechnen können. Denn der Kaiser war milde, und nichts war ihm mehr zuwider als all dieses Blutvergießen. Letztendlich ging es in diesem Krieg keinen Deut um Religion, sondern um weltlichen Aufruhr wider den Kaiser.
    Abermals fuhr Matthes aus seinen Grübeleien auf. Sein Vater hatte geräuschvoll den Teller zurückgeschoben, jetzt legte er die Hand auf Marthe-Maries Arm. «Setzen wir uns noch ein wenig in die Stube? Ich würde eine gute Flasche Meersburger Roten aufmachen.»
    Matthes blickte ihn erstaunt an. Wie lange schon waren sie am Feierabend nicht mehr beieinander gesessen. Zwar wäre ihm an diesem warmen Sommerabend mehr nach einer Runde durch die Gassen gewesen, doch der erwartungsvolle Blick seines Vaters veranlasste ihn, zu nicken. Er war gottfroh, dass seine Eltern den ersten großen Schmerz über Agnes’ Flucht überwunden zu haben schienen. Wie er die beiden so vor sich sah, wie sie da Hand in Hand bei Tisch saßen, war er sich sicher: Alles würde sich zum Guten wenden.
     
    Vom Nesenbach her und aus den Winkeln, wie hier die Abortgruben genannt wurden, stank es tatsächlich bestialisch, und das schon seit Wochen. Zwar beherzigten die Bürger die monatliche Kehrwoche und reinigten, wie es die herzogliche Verordnung vorgab, vor ihren Häusern die Straße, doch statt Müll und Mist alle acht Wochen aus der Stadt zu fahren, kippten nicht wenige diesen Unrat kurzerhand auf die Nachbargassen oder in den Bach. Hinzu kam, dass der Nesenbach jetzt im Hochsommer nur spärlich Wasser führte – nicht der Trockenheit wegen, sondern weil, wie böse Zungen behaupteten, zu viel Wasser für die Hofgärten abgezweigt würde.
    Agnes hielt sich ihr Schultertuch vor Mund und Nase, als sie den Straßenmarkt vor dem Hauptstätter Tor durchquerte. Auch hier lagen überall Abfälle zwischen den Lauben und Ständen, festgetreten in das löchrige Pflaster. Was für ein Unterschied zum Marktplatz innen in der Stadt, der jeden Abend wie aus dem Ei gepellt zwischen den herrschaftlichen Häusern der Stuttgarter Ehrbarkeit glänzte – sommers wurde dort von den Gassenkehrern sogar nass gewischt! Hier hingegen, in der Vorstadt, mochte man an heißen Tagen wie diesem kaum Luft holen.
    Agnes spürte, wie sich ihr Magen hob und senkte, und sie beeilte sich, nach Hause zu kommen. Sie schaffte es gerade noch bis in eine Sackgasse mit winzigen Bohnengärten, dann erbrach sie sich über einen Zaun. Als sie sich wieder aufrichtete, zitterte sie am ganzen Leib, während ihr der Schweiß auf der Stirn stand. Sie betete, nicht das Sommerfieber erwischt zu haben, von dem Else eben erst genesen war.
    Ihr Kopf schmerzte, als sie endlich das schmale Haus an der äußeren Ringmauer erreichte. Mühsam schleppte sie sich die Treppe zu ihrer Dachkammer hinauf, in der heiß und stickig die Luft stand. Sie ließ die Einkäufe mitten im Zimmer stehen, legte sich auf das Bett und versuchte ruhig durchzuatmen. Jetzt nur nicht krank werden, ihre Lage war schon elend genug.
    Kurz nach Fasching waren sie hierher gezogen, in diese zugige Dachkammer, in der einem in der Sommerhitze das Hemd am Leib klebte und in kalten Winternächten sicher der Atem zu Eiskristallen gefrieren würde. Und doch: Es war ihr eigenes kleines Reich, wo sie Ruhe hatte vor Else, vor dem ewig betrunkenen Melchert und vor allem vor Lienhard. Der hatte immer häufiger Kumpane oder irgendwelche losen Frauenzimmer mitgebracht oder beides. Besonders übel war es dann in der Faschingswoche gewesen. Der neuen Landesverordnung zum Trotz, die es verbot, mit Peitschenknall und Kuhschellengebimmel durch die Gassen zu krakeelen und um Fastnachtsküchlein zu betteln oder am Aschermittwoch in Mummenschanz zu feiern und der unseligen Sitte des Brunnenwerfens nachzugehen, war Lienhard mit einem Dutzend Männer und Frauen ins Haus eingefallen wie ein Donnerwetter.
    Schon von weitem war der Radau zu hören gewesen. Dann waren sie hereingestürmt, grell geschminkt und mit Masken die Weiber, angetrunken und nach Schweiß und Fusel stinkend die Männer. Mitgebracht hatten sie zwei Fässchen Bier, die sie neben den Esstisch rollten, sowie etliche Schläuche mit Branntwein. Melchert half ihnen, die Strohsäcke aus der Schlafkammer zu schleifen, Tisch und Bänke wurden an die Wand gerückt, um Platz zum Tanzen zu schaffen. Dann ging es los. Drei ganze Tage, bis Aschermittwoch, dauerte das Gelage, zeitweise beherbergte die armselige Hütte

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