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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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wieder draußen.»
     
    Agnes fluchte lauthals vor sich hin, während sie mit den Fingernägeln den Hühnerkot aus den Dielenbrettern kratzte. Sie war an die mitunter harte Arbeit im Haus gewöhnt, schließlich konnte sich eine Schulmeisterfamilie in Zeiten wie diesen weder Köchin noch Dienstmagd leisten. Was sie aber hier in diesem Drecksloch jeden Tag schuftete, glich einem Frondienst. Sie wettete, dass Else seit Monaten weder Schrubber noch Besen angerührt hatte.
    Die Alte hatte keine Scheu, ihr alle möglichen Pflichten aufzubürden. Vor dem Morgenessen solle sie die Hühner und die Mastsau füttern, danach, wenn alle aus dem Haus waren, die Böden und den Herd schrubben. Die Bühne oben müsse auch endlich gründlich gesäubert werden, das könne sie aber nach und nach erledigen; wichtiger sei das Waschen und Ausbessern der Wäsche. Mit dem Brunnenwasser sei sparsam umzugehen, die Betten müssten nach Ungeziefer abgesucht und der zu ihrem Haus gehörige Teil des Hofes von Müll und Unrat gereinigt werden – und so fort.
    «Wenn wir mit euch schon zwei hungrige Mäuler mehr stopfen, kannst du dich wenigstens im Haus nützlich machen», waren Elses barsche Worte gewesen, als sie sich am zweiten Abend zu murren erdreistet hatte.
    Dabei hatte Else die Vorratskammer abgeschlossen, und Agnesmusste bis zum Abendessen mit trocken Brot und Wasser vorlieb nehmen. Den täglichen Einkauf verrichtete selbstredend Else, auf ihrem Heimweg, um zu vermeiden, dass «unnützer Kruscht» gekauft würde, wie sie es nannte. Nach dem Abendessen rechnete sie dann peinlich genau Kaspars und Agnes’ Anteil heraus.
    Agnes biss die Zähne zusammen, als sie sich mit der Bürste über den speckigen Lehmboden hermachte. Anschließend sammelte sie die Nachttöpfe ein. Da ihr Else keine Anweisung gegeben hatte, wohin sie die nächtliche Notdurft zu entsorgen hatte, kippte sie deren Inhalt kurzerhand über den Gartenzaun.
    Den fünften Tag waren sie nun schon in Stuttgart. Aus der Vorstadt war sie bislang keinen Schritt herausgekommen, und Kaspar hatte beim Hofkapellmeister noch immer keine Audienz erwirken können. Als sie ihn am Vorabend gefragt hatte, wo er denn den ganzen Tag unterwegs sei, hatte er ihr einen Kuss auf die Wange gehaucht und geantwortet: «Man muss auf zwei Beinen stehen, und deswegen sehe ich mich nach weiteren Möglichkeiten um, zu Lohn und Brot zu kommen.»
    Ein Gutes hatte ihre tägliche Schufterei: Sie fühlte sich jetzt, wo sie dem ärgsten Dreck zu Leibe gerückt war, wesentlich wohler in dem Haus. Fast zufrieden betrachtete sie den Wohnraum, in den durch die frisch geputzten Fenster tatsächlich die Nachmittagssonne schien. Morgen würde sie noch den Vorhang zur Schlafecke ausbürsten – dann sah das hier endlich nach einer menschlichen Behausung aus und nicht mehr wie ein Ziegenstall.
    Sie hörte die Gartenpforte quietschen. Hoffentlich war das nicht Lienhard, der vor den anderen heimkehrte. Sie mochte Melcherts jüngeren Bruder nicht, vom ersten Augenblick an war er ihr zuwider gewesen. Dabei war er mit seinem kräftigen Wuchs, den welligen blonden Haaren und dem sorgfältig gestutzten Backenbart ein durchaus gut aussehender Mann, der noch mehr als Kaspar Wert auf sein Äußeres legte. Aber er warschmierig und aalglatt, aus seinem Mund troffen Höflichkeitsfloskeln und Komplimente wie Öl aus der Presse, während seine grauen Augen eiskalt blieben.
    Einmal hatte er eine Frau mit karottenrotem Haar mitgebracht, ganz offensichtlich eine Hübschlerin. Ohne ein weiteres Wort, nur mit einem breiten Grinsen in Agnes’ Richtung, war er mit ihr die Stiege hinauf verschwunden. Dann hörte man Gekicher und Geflüster, das rasch überging in unterdrücktes Stöhnen. Als die beiden fertig waren, kam Lienhard auf einen Krug Bier wieder herunter und flüsterte Kaspar ins Ohr, so laut, dass es Agnes hören musste: «Keine Sorge – euer Lager ist unberührt. Der Roten besorg ich es immer im Stehen.»
    Zu Agnes’ Erleichterung war es Kaspar, der die Haustür öffnete und einen Schwall eiskalter Luft mit hereinbrachte. Er strahlte.
    «Ich habe gute Neuigkeiten für uns. Der Schellenwirt will sich durch den Kopf gehen lassen, ob er mich singen und spielen lässt. Ist das nicht wunderbar? Drück mir beide Daumen, Liebes. Ich muss nur noch eine Lizenz beim Rat der Stadt erlangen, aber das wird wohl das Geringste sein.»
    Agnes musste ihre Enttäuschung herunterschlucken. Im ersten Moment hatte sie geglaubt, Kaspar sei endlich

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