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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Jakob? Keiner!»
    Wenn Matthes ehrlich war – er vermisste Agnes nicht weniger, als sein Bruder es tat. Im Grunde waren seine Schwester und er sich sehr ähnlich. Sie hatten beide ihren eigenen Kopf, konnten von einem Moment zum andern in Harnisch geraten, wenn ihnen etwas quer kam, und vor allem: Sie litten unter der Enge in dieser braven Stadt, in dieser braven Schulmeisterfamilie, zu der sie ein scheinbar unabänderliches Schicksal bestimmt hatte.
    Das Einzige, was er aufrichtig bedauerte: dass Agnes ausgerechnet in Stuttgart gelandet war. Denn Herzog Johann Friedrich war ein Feind des deutschen Kaisers. Nach der Befreiung Prags von den Aufständischen hatte der Württemberger die Familie des unrechtmäßigen böhmischen Königs in einem seiner Schlösser aufgenommen und damit Kaiser Ferdinand den Fehdehandschuh vor die Füße geworfen.
    Jonas Marx riss Matthes aus seinen Gedanken. «Was ist? Hast du keinen Hunger?»
    Die Frage klang beinahe fürsorglich. Seitdem Matthes in der Werkstatt des Büchsenmachers angefangen hatte, war sein Vater wie umgewandelt. Denn von Meister Gessler gab es keine Klagen. Matthes ging jeden Morgen pünktlich zur Arbeit, verrichtete ohne Murren auch die dümmste Plackerei, und seine Freundschaft mit Gesslers Sohn, der ebenfalls dort in die Lehre ging, wurde gern gesehen. Die wahren Gründe für seinen Wechsel der Lehrstelle hatte Matthes den Eltern wohlweislich verschwiegen. Er konnte es sich ja selbst nicht erklären, weshalb er sich so vehement für das Kriegshandwerk begeisterte. Die Aussicht, eines Tages selbst Handfeuerwaffen zu fertigen, diese Wunderwerke anTechnik, ließ ihn vergessen, dass er bei Gessler genau wie in seiner früheren Werkstatt nur die ewig gleichen Handlangerarbeiten verrichten durfte und es schon eine Abwechslung bedeutete, wenn ihn der Meister zum Bohren und Schleifen an die Läufe ließ. Doch Matthes hielt Augen und Ohren offen, wenn die älteren Gesellen sich über die Fertigung der Feuerschlösser austauschten, und verweilte sogar freiwillig länger in der Werkstatt, nur um beim Verzieren der fertigen Büchsen zuzusehen.
    Dank Gottfried und dessen Vater war er auch genauestens im Bilde über den Verlauf des böhmischen Krieges. Er hatte den glanzvollen Einmarsch der bayerisch-kaiserlichen Truppen in Prag vor Augen, als sei er dabei gewesen. Dass der bayerische Herzog Maximilian die Stadt zur Plünderung freigegeben haben sollte, dass etliche Bürger und Adlige ihrer Anwesen und Ländereien beraubt und anschließend öffentlich gevierteilt worden seien, hielt er für ein übles Gerücht der Calviner und Protestanten. Nur gerecht hingegen fand er das Blutgericht, das im März die über dreißig Aufständischen zum Tode verurteilte, denn in seinen Augen waren sie nichts als Hochverräter, getrieben von dem Vorsatz, ihre Standesprivilegien immer weiter zu mehren und das Heilige Römische Reich zu zerstören. Und gestern dann hatte er von Gottfried erfahren, dass man siebenundzwanzig von ihnen vor den Augen der Prager Bürger erst gemartert, dann hingerichtet und ihre Köpfe an den Altstädter Brückenturm genagelt habe.
    Über die Ereignisse in Prag war er mit Jakob in erbitterten Streit geraten. «Was für ein unseliger Krieg», hatte sein Bruder gescholten, als der ihn eines Abends mit einem Flugblatt in der Hand überrascht hatte. «Dabei ist nicht mal geklärt, ob Böhmen überhaupt zum Kaiserreich gehört. Seit Urzeiten ist das Land ein Wahlkönigreich. Da kann man es doch verstehen, wenn sich das Volk gegen einen Habsburger auf dem Thron zur Wehr setzt.»
    «Von wem hast du denn diesen ausgemachten Blödsinn? Von Vater?» Matthes verzog verächtlich die Lippen. «Außerdem: InBöhmen ging es niemals ums Volk, sondern um ein paar raffgierige Adlige und neureiche Bürger, die eine gottgegebene Ordnung umstoßen wollen.»
    «Ich begreife nicht, wie du als Lutheraner für die Katholischen Partei ergreifen kannst.»
    «Nein? Dann frage ich dich, wie du einem calvinischen Schelm wie dem Pfälzer das Wort reden kannst. Sagt nicht selbst unser Pfarrer, dass die Calviner Erzketzer sind, schlimmer als die Papisten? Dass sie an eine heidnische Fatalität glauben und kein Haupt anerkennen? Im Übrigen: Hätte dieser falsche böhmische König das Knie vor dem Kaiser gebeugt und Abbitte geleistet – dann wäre längst Friede in Böhmen.»
    O ja – er, Matthes, war überzeugt davon: Hätten die Rebellen ihre Waffen niedergelegt, ihren Irrtum bekannt, sich der von

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