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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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begleitest. Aber ich schwöre dir, Agnes, wenn du nur einen Schritt auf diesen fetten kaiserlichen Obristleutnant zugehst, werde ich mich dazwischenwerfen.»
    Schweigend machten sie sich an den Abstieg, Agnes zwischenMugge und ihrem Bruder, Sandor hinter ihnen. Als sie sich dem Tor zur unteren Festung näherten, ging rasselnd die Zugbrücke herunter und gab den Blick frei auf eine Gruppe von Männern, die ihnen erwartungsvoll entgegenblickten. Matthes stockte der Atem, als er Recknagel erkannte, seinen einstigen Hauptmann, den widerlichen Fettwanst. Das war sein Verderben – oder war es seine Rettung?
    Auch Recknagel hatte ihn erkannt und verzog seine feisten Wangen zu einem Grinsen.
    «Potzschlapperment! Mein braver Feldweybel Matthes Marx!»
    Dann brach er in schallendes Gelächter aus. «Für diesen Schelm wollt Ihr dreißig Reichstaler? Für den würd ich nicht mal einen Hund satteln lassen. Geschweige denn, dass ich einen Lumpenpfennig für ihn zahlen würde. Für das prächtige Weibsbild allerdings würde ich schon einiges springen lassen.»
    Sandor stieß ihn vor die Brust. «Zügelt Euer loses Mundwerk.»
    Widerhold schob seinen Adjutanten zur Seite. «Ich denke», sagte er, «damit ist unsere Verhandlung beendet. Richtet Eurem Obristen aus, dass wir diese Festung nie und nimmer aufgeben.»
     
    Die Belagerung währte weitaus länger als erwartet. Die Kaiserlichen setzten auf Aushungern, doch die Keller und Vorratsräume der Burg waren gut gefüllt.
    Tagsüber bekam Agnes Sandor nicht zu Gesicht, da er stets an Widerholds Seite blieb. Wenn sie von unten die Schüsse knallen, die Kanonen donnern hörte, zerriss es ihr jedes Mal das Herz, und sie zitterte um diesen Mann, der niemals mehr hatte kämpfen wollen. Ihre Angst schwand erst, wenn er des Nachts in ihre Kammer trat. Dann folgten Stunden, da malten sie sich aus, wie ihr Leben in Friedenszeiten aussehen könnte, und sie liebten sich jedes Mal aufs Neue, als sei es das letzte Mal.
    Matthes und sein Bursche galten nicht länger als Gefangene.Es stand ihnen frei, die Burg zu verlassen, sobald es die Lage erlaubte. Es brauchte nicht lange, und jeder schätzte und achtete Matthes, der sich mal in der Schmiede, mal in der Mühle oder in der Rüstkammer zu schaffen machte, um alles Notwendige am Laufen und die Waffen in Schuss zu halten. Doch bei allem, was er tat, wirkte er verschlossen. Niemals kam ein Lächeln über seine Lippen. Vergeblich versuchte Agnes zu erfahren, was er dachte, was er fühlte, vergeblich bat sie ihn immer wieder, von seinen Jahren als Soldat zu erzählen. Irgendwann erkannte sie: Matthes’ Seele war verfinstert.
    Als die Herbststürme längst die letzten Blätter von den Bäumen gefegt hatten, forderte eine Abordnung der Kaiserlichen abermals die Übergabe, diesmal mit einem Schreiben Seiner Kaiserlichen Majestät, das allerlei Zugeständnisse enthielt: so der freie Abzug in voller Bewaffnung, mit Gepäck, Pferdewagen, persönlichem Hab und Gut, unter Geleit bis zur Rheinbrücke nach Schaffhausen. Alles Übrige sei mit der Festung dem Kaiser zu übergeben. Widerhold kannte nur eine Antwort: «Niemals!»
    So brach der Winter an, die Vorräte wurden knapp und mussten rationiert werden. Weitaus schlimmer war jedoch, dass Pulver und Munition zur Neige gingen. Da gelang Widerhold ein wahres Bubenstück. Als eines Morgens der gesamte Hegau unter einer dicken Schneedecke lag, schlichen sich der Kommandant, sein Leutnant und Sandor, begleitet von drei erfahrenen Soldaten, aus der unteren Festung. Sie hatten sich weißes Leinenzeug über ihre Kettenhemden und Köpfe gezogen, und während Widerholds Musketiere die Belagerer in ein Scharmützel vor dem unteren Tor verwickelten, konnten die sechs Männer unbemerkt den Belagerungsring durchbrechen und ins nahe Singen gelangen, wo sie sich Pferde beschafften. Agnes, die an jenem Morgen mit klopfendem Herzen auf dem Burgfried stand, hatte sie tatsächlich nicht ausmachen können in der schneeverhangenen Landschaft. Dennoch fand sie keine Ruhe, vermochte weder zuschlafen noch zu essen, bis die Männer am nächsten Abend zurückgekehrt waren. Plötzlicher Lärm hatte sie aus der warmen Küche gelockt, aufgeregte Schreie, dann einzelne Schüsse.
    Sie rannte im bloßen Kleid hinaus in die eisige Dunkelheit zur Burgmauer, wo zwischen den Maueröffnungen Männer an den Seilzügen hingen. Auch Matthes und Mugge waren dabei, zogen mit den anderen unter Fluchen und Stöhnen erst schwere Säcke mit Pulver und

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