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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Familie.»
    Agnes zerriss es schier das Herz: Ihr Wunschtraum, sich mit den Eltern anlässlich ihres Hochzeitsfestes zu versöhnen, war ein für alle Mal zerplatzt. Denn sie wäre vor Scham im Boden versunken, hätte sie ihre Eltern in diese Kammer führen, ihnen Else und die Steigerbrüder als ihre einzigen Freunde vorstellen müssen. Was für eine Schmach, wenn sie erführen, dass es Kaspar zu nichts anderem gebracht hatte als zum Possenreißer und Lautenschläger, der abends durch irgendwelche Spelunken zog, und dass sie selbst, Agnes Marxin, hier im Viertel den Beinamen ‹Gauklerin› trug.
    So heirateten sie an einem sonnigen Septembertag in kleinem Kreise. Der Pfarrer zu Sankt Leonhard trug ihre Namen in das schwere Kirchenbuch ein, nicht ohne seine Befriedigung zu äußern, dass der Sänger Kaspar Schwenk, genannt Goldkehl, vom papistischen Irrglauben zur reinen lutherischen Lehre gefunden habe. Dann gab er die Brautleute auf immer zusammen, ohne zu ahnen, dass die Braut die Frucht ihrer Liebe längst im Leib trug.Den Weg zum Rathaus der Stadt konnten sie sich sparen, da sie beide keinen Bürgerbrief besaßen, was Agnes wiederum schmerzlich berührte. Dafür hatte der Schellenwirt eine kleine Feier ausgerichtet, mit Freibier, Kesselfleisch und Laubgirlanden, die sein Weib überall im Schankraum aufgehängt hatte. Eingeladen hatten sie, außer Else und den beiden Brüdern, nur noch ein paar von Kaspars Musikantenkumpanen sowie die Wallnerin, eine der Mägde, die die Dachkammer neben ihnen bewohnte. Doch nach und nach strömten immer mehr Gäste in die Stube, bis der Wirt Tür und Fensterläden verriegelte, um der Stadtwache keinen Anlass zu Strafgeldern zu geben.
    An diesem Abend spielte und sang Kaspar nur für seine Frau. Er ließ Agnes nicht aus den Augen, und wenn er die Laute zur Seite legte, um zu tanzen, dann nur mit ihr. Es schien, als wolle er an diesem einen Abend alles ins Lot rücken, was er verkehrt gemacht hatte.
    «Du bist die schönste Braut Stuttgarts», sagte er und strich ihr über die dichten schwarzen Locken, die sie heute zum letzten Mal offen tragen würde. «Für dich gehe ich durchs Feuer.»
    Agnes glaubte ihm aufs Wort.

6
    Zu Agnes’ Erstaunen mangelte es ihnen im folgenden Winter an nichts. Und das, obwohl in jenen Monaten das Geld immer wertloser wurde, denn allerorts in Deutschland begann man neue Münzen zu prägen. Die Glanzzeit der Kipper und Wipper, der Geldfälscher und Wechsler, brach an. Auf den Märkten drängten sich die Menschen vor den Wechselbuden, langbärtige Männer riefen lauthals zur Waage und lockten mit den silberglänzenden, nagelneuen Münzen, die die Obrigkeit als gültig verordnet hatte.Das gute alte Geld wurde gegen das neue gewogen und prasselte dann mit Getöse in die bereitstehenden Säcke, die zur Schmelze gebracht wurden. In den Beuteln der Bürger aber verloren die neuen Münzen immer häufiger wie durch Zauberkraft langsam ihren Silberglanz, der rötliche Schimmer verriet, dass sie im Wesentlichen nur billiges Kupfer enthielten. Und ihre Besitzer mussten einmal mehr erkennen, dass sie einem Kipper aufgesessen waren, der wertlose Kupfermünzen mit Weinsteinsäure weißgesotten hatte.
    Es ging sogar das Gerücht, der Landesherr selbst habe seine Hirschgulden mit nur einem zehnten Teil Silbergehalt prägen lassen, um seine Ausgaben zu decken. Die Säckel der Bürger füllten sich zwar, doch bald taugten die Münzen nur noch den Kindern auf der Gasse zum Wett- und Wurfspiel. Die Preise für Brot und Salz, Schmalz oder Mehl stiegen in nie gekannte Höhen, der Reichstaler kam zum Jahresende auf zehn Gulden statt wie im Vorjahr auf drei, ein Achtpfünderbrot kostete inzwischen neun Batzen; dabei verdiente ein Taglöhner wie Melchert Steiger nur sechs. Das zum Leben Notwendige ließ sich bald nur noch durch Tausch erwerben. Wer es durchsetzen konnte, ließ sich mit Naturalien entlohnen, wer nicht, wie all die Taglöhner, Knechte und Mägde, hatte bald sonntags kein Fleisch mehr im Topf und werktags zu wenig Brot, um satt zu werden.
    Um Agnes in ihrem Zustand zu schonen, übernahm Kaspar die täglichen Besorgungen. Er brachte Kohl und Erbsen, fette Milch und getrocknete Äpfel nach Hause, mitunter sogar Salzfleisch und Rotwein. Wenn sie sich wunderte, wovon er all diese Schätze bezahlte, lachte er nur.
    «Ich singe halt abends drei Lieder mehr und lasse mir vom Wirt statt Bier Wasser aus der Küche reichen. Du sollst doch nicht darben müssen, jetzt wo du

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