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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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«Ein wenig müde bin ich, mehr nicht. Und du weißt ja selbst: Am Ende des Winters schwindet das Angebot auf dem Markt wie Schnee in der Sonne. Bis Ostern, wenn unser Kleines auf der Welt ist» – zärtlich strich er über Agnes’ runden Bauch   –, «ist alles wieder im Lot. Du wirst sehen.»
    Und dann brach jener Morgen an, den Agnes nie vergessen würde. Zum ersten Mal hatten die Spatzen und Amseln unter dem Dachfenster die Sonne mit ihrem Konzert begrüßt. Agnes streckte sich, dann schlüpfte sie aus dem Bett, ganz leise, um Kaspar nicht zu wecken. Er hatte die Nacht über schlecht geschlafen, sich gedreht und gewälzt, und plötzlich erinnerte sich Agnes mit Beklemmung an das Gespräch, das sie zu später Stunde noch geführt hatten. Wirres Zeug hatte er geredet: Ihr Kind solle nicht in Armut geboren werden, ein schlechter Vater sei, wer seinem Kind kein Vorbild sein könne, und so fort. Schließlich war er sogar in Schluchzen ausgebrochen.
    Verstört betrachtete sie jetzt Kaspars schönes Gesicht, das auf seinem Oberarm ruhte. Entspannt, mit halb geöffnetem Mund lag er da, mit der Zufriedenheit eines schlafenden Kindes. Was hatte ihn so aus der Fassung gebracht? Sie zögerte einen Moment, ihn allein zu lassen, dann nahm sie ihren Umhang und ging hinüber in die Nachbarkammer. Die Wallnerin lag mit Fieber und Schüttelfrost im Bett, und sie hatte ihr versprochen, nach ihr zu sehen.
    Nachdem sie der Kranken den Strohsack aufgeschüttelt und frische Luft ins Zimmer gelassen hatte, ging sie in die Küche hinunter, um ihr einen warmen Hirsebrei zu bereiten. In der Kammer über ihr war alles still, Kaspar schien noch zu schlafen.
    Ihre Nachbarin war offensichtlich auf dem Wege der Besserung, denn sie schlang den Brei mit Heißhunger in sich hinein.
    «Geh noch nicht», bat sie Agnes, als sie ihr Morgenmahl beendet hatte. «Ich möchte versuchen aufzustehen.»
    So blieb Agnes noch eine weitere Stunde bei der Wallnerin, ließ sie an ihrem Arm durchs Zimmer wandern, ertrug geistesabwesend deren Geplapper und versprach brav, zum Weingarten ihres Brotherrn zu gehen und Bescheid zu geben, dass die Wallnerin morgen wieder arbeiten könne.
    Als Agnes in ihre eigene Kammer zurückkehrte, war diese leer. Auf dem Tisch lag ein Bogen Papier mit Kaspars unsicherer Handschrift. Eine eisige Faust schloss sich um ihr Herz, als sie nach dem Blatt griff.
    Mein herzallerliebstes Weib!
    Es gibt keinen anderen Weg. Als Spielmann vor den Soldaten verdiene ich ein Vielfaches von dem, was ich hier jedeWoche heimbringe. In die Kiste habe ich ein wenig Geld gelegt, ich hoffe von Herzen, dass es ausreicht. Noch vor Ostern bin ich wieder bei dir. Bis dahin wirst du mir stets vor Augen sein, meine Prinzessin. Ich küsse dich tausendmal in Gedanken und bin von ganzem Herzen dein.
    In Liebe, dein Kaspar.
    Sie musste sich an der Tischkante festhalten, um nicht zu Boden zu sinken. Dann stieg eine gewaltige Welle der Wut in ihr auf. Sie packte den hübschen Trinkbecher, den Kaspar ihr zur Hochzeit geschenkt hatte, und zerschmetterte ihn an der Wand. Schrie dabei ihren Zorn heraus, während ihr die Tränen über das Gesicht strömten, ihr Zorn über diesen hinterhältigen Schweinehund, diesen Verräter ihrer Liebe. Aber so leicht, nein, so leicht würde er sich nicht aus dem Staub machen können, er würde schon sehen.
    Hastig kleidete sie sich an, warf sich den Umhang über die Schultern und stürzte hinunter auf die Gasse. Jetzt, wo sich die Truppen samt ihrem gewaltigem Tross auf den Weg gemacht hatten, schien die ganze Stadt in Aufruhr; alles drängte und wogte zu den Toren hin. Verzweifelt fragte Agnes nach Kaspar, genannt Goldkehl, doch jeder schüttelte den Kopf. Einmal mehr fiel ihr auf, wie wenig Menschen sie in dieser Stadt kannte. Vor den Toren dann strömten Hunderte und Aberhunderte durch die sumpfigen Niederungen des Nesenbachtals dem Neckar zu, auf Eseln, zu Fuß oder mit klapprigen Karren, auf denen der gesamte Hausrat verschnürt war. Männer jeden Alters, die meisten in abgerissenen Kleidern, dazwischen Höker und Marketenderinnen, Artisten und Musikanten, Viehhirten, die Rinder und Ziegen vor sich her trieben, vereinzelte Gruppen von Söldnern, die es besonders wichtig und besonders eilig hatten, immer wieder auch Weiber mit zerlumpten Kindern.
    Agnes hatte Mühe, in diesem Pulk Schritt zu halten, das rasche Gehen fiel ihr seit einiger Zeit ohnehin schwer. Irgendwo dort vorn war Kaspar, ihr Ehemann, der sie so elend belogen

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