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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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für zwei essen musst.»
    Außer am Sonntag verließ er jeden Mittag mit seiner Laute unterm Arm das Haus. Dann begannen für Agnes die schlechten Stunden, wie sie es insgeheim nannte, und sie versuchte jedenTag aufs Neue, sie mit zusammengebissenen Zähnen hinter sich zu bringen, ohne zu klagen. Fast beneidete sie Kaspar um seinen Rundgang durch die beheizten Wirtsstuben, denn trotz Umhang, Mantel und wollenen Socken fror sie jämmerlich in ihrer Kammer. Hinzu kamen die Einsamkeit und die Trostlosigkeit der langen Winterabende. Sie hatte sich angewöhnt, kaum dass Kaspar fort war und sie die Kammer blitzblank aufgeräumt hatte, sich an den Tisch zu setzen, mit den Füßen dicht am Kohlebecken, und im Schein der Tranlampe in der Lutherbibel zu lesen – mehr aus Langeweile allerdings als aus Verlangen nach religiöser Erbauung. Die Bibel war das einzige Buch, das sie besaß. Neuerdings kam hin und wieder die Wallnerin herüber, diese dralle, blondlockige junge Frau, die sich wohl recht allein fühlte, seit ihr Bräutigam sie verlassen hatte. Sie war nicht die Hellste, spekulierte wohl auch ein wenig auf Agnes’ üppige Vorräte, doch in ihrer unbekümmerten, drolligen Art brachte sie immerhin etwas Abwechslung in die langen Abende.
    Von ihrer Nachbarin erfuhr Agnes auch, was in der Stadt getratscht und geredet wurde. So hörte sie zum ersten Mal von dem bösen Schicksal der alten Keplerin aus dem nahen Leonberg, der Mutter des kaiserlichen Astronomen und Mathematikers. Als wahrhaftige Unholdin war sie verrufen, die ihre Mitmenschen krank gehext habe und durch geschlossene Türen gehen könne. Nur die zahllosen Eingaben und Gnadengesuche ihres Sohnes hätten verhindern können, dass man sie auf dem Scheiterhaufen zu Asche verbrannte. Und jetzt, nach vierzehn Monaten Kerkerhaft zu Güglingen, habe sie trotz drohender Folter eisern ihre Unschuld beteuert und sei tatsächlich freigekommen.
    «Wenn du mich fragst», die Wallnerin verzog das Gesicht, «wäre die Alte nicht die Mutter eines so berühmten Mannes, hätte sie sich längst in Flammen und Rauch aufgelöst. Schließlich ist sie von etlichen ehrenwerten Leuten bezichtigt worden. Aber so ungerecht ist die Welt.»
    Agnes wäre ihr am liebsten übers Maul gefahren, hätte ihr entgegengehalten, dass solche Anschuldigungen auf dem Bodensatz von Neid und Missgunst gedeihen, doch stattdessen lenkte sie das Gespräch, wie stets, wenn es um Hexen und Zauberei ging, in eine andere Richtung. Denn Agnes wusste es besser als die Menschen auf der Straße, doch hütete sie sich, darüber zu sprechen. Schließlich war ihre eigene Ahn als eine ehrenwerte Magistratswitwe vor über zwanzig Jahren unschuldig als Hexe verbrannt worden. War ihre eigene Mutter nur um ein Haar den Folgen hasserfüllter Anschuldigungen entkommen. Wie schnell die Boshaftigkeit der einen, die Leichtgläubigkeit der anderen einem unbescholtenen Menschen zum Verhängnis werden konnten, hatte Agnes von ihrer Mutter schon als junges Mädchen erfahren.
    Nur drei Tage später kam die Wallnerin mit einer weiteren unerhörten Zeitung hereingeschneit: «Denk dir, der Pfandleiher aus dem Nebenhaus sitzt im Turm. Betrügerischer Schwarzhandel. Es heißt, dass ihm der Tod am Galgen droht.»
    Um diesen widerlichen alten Kerl, der nach jedem Weiberrock grabschte, war es Agnes nicht leid. Doch sie fragte sich mit Bangen, ob Kaspar wohl auch mit solchen Geschäften zu tun habe. Wie sonst trieb er in diesen knappen Zeiten all diese Köstlichkeiten auf? Sie nahm sich vor, ihn bei nächster Gelegenheit freiweg zu fragen. Kaum aber war sie mit ihm zusammen, verwarf sie ihre Verdächtigungen und schämte sich dafür.
    Der Sorge ums tägliche Brot nicht genug, hatten die Württemberger auch noch unter den Einquartierungen der durchs Land ziehenden Heerhaufen zu leiden. Denn trotz seiner Neutralität war das Herzogtum mit seiner Nähe zu Rhein und Donau, seiner Lage zwischen den katholischen Territorien und der besetzten calvinistischen Kurpfalz wichtiges Durchzugsgebiet feindlicher wie verbündeter Truppen. Gegen die Übergriffe der Söldnerscharen nutzten auch Wälle und Redouten wenig, es fehlte einfach an Waffen und Ausrüstung. Nur notdürftig konnten wehrfähigeMänner zur Verteidigung ausgestattet werden. Bald jede Woche ging es wie ein Lauffeuer durch die Gassen, dass sich Heeresverbände der Residenz näherten, und auch wenn sich diese Gerüchte meist als haltlos erwiesen, so versetzte die Vorstellung die Bevölkerung

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