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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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jedes Mal in Angst und Schrecken. Bislang waren Agnes und Kaspar von Söldnern, die in der Esslinger Vorstadt immer wieder mit Gewalt Einlass begehrten, verschont geblieben, dennoch verriegelte Agnes an solchen Tagen die Tür, schob zusätzlich ihre Vorratstruhe dagegen und ließ Kaspar nur auf ein verabredetes Klopfzeichen ein.
    Einmal, Agnes konnte sich noch gut erinnern, hatte es Else erwischt. Es war im November, als überall in Deutschland die Truppen in ihre Winterquartiere zogen und in Stuttgart eine Kompanie Infanteristen Station machte.
    An jenem Sonntagmorgen hatte Agnes beschlossen, nach dem Kirchgang endlich einmal wieder bei ihrer ehemaligen Quartiergeberin vorbeizuschauen. Es war nicht gerade Freundschaft, was sie mit der Alten verband. Aber immerhin hatte man ihr, einer Fremden, im Hause Steiger Gastrecht gewährt, und an Elses schroffe, bärbeißige Art hatte sie sich längst gewöhnt.
    So nutzte Agnes das schöne Wetter und den Umstand, dass die Soldaten bereits nach zwei Tagen weitergezogen waren, für einen Spaziergang. Als sie die schäbigen Häuschen am Ende der Sackgasse erreichte, traf sie beinahe der Schlag: Die Gartenpforte war niedergerissen, im Hof lagen zerschlagene Möbelstücke und leere Bierfässer herum. Aus einem der Fenster hörte sie lautes Wehklagen. Um ein Haar hätte sie kehrtgemacht, doch dann siegte die Neugier über die Furcht. Beherzt klopfte sie an die Tür, deren Riegel zerbrochen auf der Schwelle lag. Elses schlurfende Schritte waren zu hören, dann öffnete sich die Tür einen Spalt. Das Gesicht der Alten erschien, unter den Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab. Als sie den mit Gemüse gefüllten Korb erblickte, hellte sich ihre Miene auf.
    «Agnes! Dich schickt der Himmel! Rasch, herein mit dir.»
    In der Stube sah es nicht besser aus als draußen. Der Vorhang zur Schlafkammer hing in Fetzen, der Boden war mit Unrat und Essenresten bedeckt, Stühle und Eckbank fehlten, nur der Tisch stand unversehrt.
    «O mein Gott!», entfuhr es Agnes.
    «Sie haben gehaust wie die Krabaten.» Müde lehnte sich Else gegen den Tisch. «Dabei waren es unsere so genannten Verbündeten, welche von den Mansfeldischen. Aber wenn sie sich so aufführen, dann ist es mir gleich, ob es Katholische oder Lutheraner sind. Hast du Brot dabei? Ich sterbe vor Hunger.»
    Agnes zog einen Kanten Schwarzbrot aus dem Korb. «Wo sind Melchert und Lienhard?»
    Else kicherte schrill, und Agnes fürchtete einen Augenblick, die Alte könne den Verstand verloren haben.
    «Melchert ist beim Bader, lässt sich seinen malträtierten Schädel behandeln. Mein großgoscherter Mann hat sich für einen Löwen gehalten und dabei ordentlich eins übers Hirn gekriegt.» Ihre Augen schimmerten plötzlich feucht. «Und sein Bruder, dieser elende Bettseicher, ist über die Dachluke auf und davon.»
    Während Agnes ihr beim Aufräumen half, erfuhr sie, dass über ein gutes Dutzend Pikeniere mit ihrem Corporal hier gehaust hatten. Erst hatten sie die Vorräte niedergemacht, sich dann einen Rausch angesoffen und schließlich mit ihren Piken die Einrichtung kurz und klein gehauen.
    «Nichts haben sie uns gelassen, alle Hühner sind geschlachtet. Nur die Sau ist gerettet, weil der Viehhirt sie rechtzeitig zum Austrieb abgeholt hat. Hat sie mit dem andern Vieh der Nachbarn im Wald versteckt. Und das da», sie wies auf einen zerkratzten Brustharnisch unter dem Tisch, «hat einer von den Saukerlen vergessen. Vielleicht kann ich das gegen Mehl und Brot eintauschen.»
    Nach kurzem Zögern stellte Agnes die Frage, die ihr von Anfangan auf der Zunge gelegen hatte: «Haben die Männer dir Leid angetan?»
    «O nein! Sie haben uns zwar ordentlich geschurigelt, aber an mich alte Vettel wagt sich kein Mann mehr ran! Obwohl» – jetzt grinste sie tatsächlich übers ganze Gesicht – «der Corporal hätt mir schon gefallen können. Ein schneidiger Bursche, mit breiten Schultern, und auch nicht so ungewaschen wie die andern.»
     
    Bald zogen erneut Truppen durch Stuttgart – für Agnes sollte das eine entscheidende Wende im Leben bedeuten. Es war Mitte Februar, das Frostwetter hatte überraschend umgeschlagen in milde Frühlingsluft, und Agnes konnte man ihre Schwangerschaft mit einem Mal deutlich ansehen.
    Seit einigen Tagen schon wirkte Kaspar bedrückt. Auch brachte er immer weniger von seinem Marktgang nach Hause. Die Vorräte in der Kiste neigten sich bedrohlich dem Ende zu.
    Als Agnes ihn fragte, ob er Sorgen habe, winkte Kaspar nur ab.

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