Die Gauklerin
durchgesetzt, mit der ihr eigenen Hartnäckigkeit und mit dem Hintergedanken, dass Agnes eines Tages ihre Mutter zu sich nach Stuttgart holen solle.
Der Prinzessin fühlte Agnes sich immer stärker verbunden. Es war eine so gar nicht zu ihrem Stand passende Mischung aus mütterlichen und beinahe freundschaftlichen Gefühlen. Den Hofchargen und Angehörigen der fürstlichen Familie brachte sie die nötige Ehrerbietung entgegen, sie selbst wurde allenthalben freundlich und mit Respekt behandelt. Sie hatte mit Antonias Hilfe sogar erreicht, dass der Küchenjunge Franz in die Hofgärtnerei kam und damit sein größter Wunsch erfüllt wurde.
Etliche Männer hatten ihr in den letzten drei Jahren den Hof gemacht, einige hatte sie schroff abblitzen lassen, von einigen wenigen hatte sie sich eine Zeit lang umwerben lassen, um sie dann letztendlich ebenfalls zurückzuweisen – stets mit der Begründung, sie warte auf die Rückkehr ihres Mannes. Denn alle hier glaubten die Geschichte, an der sie eisern festhielt: Ihr Mann sei Unteroffizier im Dienste Bernhards von Weimar. Nur Antonia kannte die Wahrheit.
Ein Klopfen schreckte sie aus ihren Gedanken. Leise, um David nicht zu wecken, schob sie den Riegel zurück.
«Rudolf! Was willst du denn so spät noch hier?»
«Verzeih. Ich habe eben erst meinen Dienst beendet. Darf ich hineinkommen?»
«David schläft schon, und ich wollte eben zu Bett.»
«Bitte. Nur für einen Augenblick.»
Nicht eben erfreut führte Agnes ihn zur Eckbank. Rudolf warf einen Blick auf den rußgeschwärzten Kamin, der in erbärmlichem Zustand war.
«Den müssen wir bald instand setzen. Es kann schneller Herbst werden, als du denkst.»
Agnes musste lachen. «Deswegen bist du wohl nicht gekommen, oder?»
Rudolf schüttelte den Kopf und ließ sich auf die Bank sinken. Agnes mochte ihn, diesen großen hageren Burschen, der nur um weniges älter war als sie. Stattlich konnte man ihn nicht eben nennen, viel zu lang und schlaksig waren seine Gliedmaßen. Das dünne Haar war von einem fahlen, unbestimmbaren Braunton, über der Adlernase zogen sich die Brauen so schwarz und dicht, als seien sie ihm ins Gesicht gemalt. Alles in allem erinnerte sie Rudolf, sie konnte sich nicht helfen, an einen Storch. Doch hatte er wunderbare grüne Augen und ein geradliniges, aufrichtiges Wesen. Er war es gewesen, der dieses Zimmer hergerichtet und in ein gemütliches Heim verzaubert hatte.
Nur leider, schon bald nach ihrer ersten Begegnung, hatte er sein Herz an sie verloren. Und sie hatte den großen Fehler begangen, zwei Male die Nacht mit ihm zu verbringen. Danach hatte sie ihm zwar unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass es nichts würde mit ihnen beiden, dass sie nicht füreinander geschaffen seien. Und reichlich verspätet kam sie auf ihren Mann zu sprechen, auf dessen Rückkehr sie warte. Doch Rudolf, statt sich enttäuscht oder unglücklich zurückzuziehen, gab nicht auf. Anfangs machte sie das wütend, vor allem weil er, wenn auch auf äußerst zurückhaltende Art, beständig in ihrer Nähe weilte. Doch irgendwann gewöhnte sie sich an ihn wie an ihren eigenen Schatten und begann seine Freundschaft zu schätzen.
«Was gibt es denn?»
«Ich mache mir Sorgen.» Er blickte sie an und beugte sichdann zu ihr vor. «Seit dem Tode unseres Herzogs ist nichts mehr wie zuvor. Der Herzog-Administrator will mit neuen Besen kehren und die Einsparungen bei Hofe, für die die Landstände seit Jahren vergeblich gekämpft haben, nun ohne Rücksicht auf Verluste umsetzen.»
Agnes nickte nachdenklich. Auch wenn Württemberg bis jetzt von Kriegsgeschrei und Schlachtendonner verschont geblieben war, so war das Land doch gezeichnet von wirtschaftlicher Not. Die Landwirtschaft lag im Argen, es gab kaum noch Wein, und vielerorts beherrschte Hunger den Alltag. Nicht nur die Schulden des Herzogs hatten hierzu beigetragen, auch die Missernten und zahlreichen Truppendurchzüge der letzten Jahre hatten das Land geschwächt. Erst vor wenigen Monaten hatte der Herzog wieder einmal Quartier und Verpflegung für zwanzigtausend Kaiserliche stellen müssen. Ganze Städte und Dörfer waren in aller Eile leer gekauft worden, bis kein Scheffel Getreide, kein Ei, kein Schaf mehr aufzutreiben waren. Antonia hatte ihr damals mit bitterem Spott gesagt: «Wo sonst als bei den Neutralen soll man Quartier nehmen, wenn die eigenen Freunde sich weigern und der Boden der Gegner kahl gefressen ist?»
Und dann die schreckliche Pestepidemie vor zwei
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