Die Gauklerin
die Familie des Vaters, dennoch fügten sich Gestalt und Gesicht zu einem harmonischen Ganzen; das fand zumindest Agnes. Sie mochte vielleicht nicht die Schönste der Herzogstöchter sein, doch mit ihrem glänzenden dunkelblonden Haar, den großen braunen Augen, den zarten Händen, die jeden ihrer Sätze mit feiner Geste unterstrichen, war sie durchaus hübsch anzusehen. Und mit ihrem Lächeln, dem warmen Blick aus ihren Augen, vermochte sie jeden zu bezaubern.
«Nein, was für ein Unfug.» Agnes reichte ihr die Haarbürste. «Wie kommt Ihr denn auf so etwas?»
«Ich wurde gestern Zeuge eines Gesprächs zwischen Mutter und Herzogin Anna, drüben im Musikzimmer. Ich wollte wirklich nicht lauschen, aber die Tür war nur angelehnt. Sie sprachen über uns Mädchen und wie schlecht unsere Aussichten für die Zukunft seien. Dass es angesichts der Kriegswirren und der elenden wirtschaftlichen Lage schwerer und schwerer würde, standesgemäße Heiratsabreden zu treffen.»
Mit einem leisen Seufzer löste Antonia den Blick von ihrem Spiegelbild.
«Sybilla besteche zum Glück noch durch ihre zierliche Schönheit, und sie sei ja noch jung. Für mich aber werde es höchste Zeit, einen Platz an einem Fürstenhof zu finden, sei ich doch wie geschaffen für die Stellung einer Landesmutter. In diesem Moment», die Prinzessin stockte, «in diesem Moment fing Mutter an zu weinen. Und dann berichtete sie von ihrer Unterredung mit dem Herzog-Administrator, der ihr beschieden habe, in diesen Zeiten gebe er keinen Gulden heraus für die Mitgift ihrer Töchter. Mein Vater wäre niemals so hart gewesen.»
Sosehr sich Agnes bemühte – in diese Art Sorgen konnte sie sich kaum hineinfühlen. Zumal Luises Neidgeschwätz sie inzwischen mehr belastete, als sie zugegeben hätte. Dennoch tat ihr Antonia Leid.
«Ihr seid noch so jung, Prinzessin. Und auch dieser Krieg wird eines Tages vorüber sein. Seien wir froh, dass wir hier wie auf einer Insel des Friedens leben.»
Antonia schob den Stuhl zurück und stand auf.
«Seit Vater tot ist, ist nichts mehr wie zuvor.» Ihre Lippen bebten. «Und weißt du, wer Schuld hat? Dieser Friedländer, dieser elende Wallenstein. Er ist schuld an Vaters Tod!»
Erstaunt sah Agnes auf. «Wallenstein?»
«Ja, Wallenstein. Dieser Emporkömmling, dieser falsche Herzog, der ganz Deutschland in Verheerung gestürzt hat und mit seiner Kriegssteuer unser Land auspresst. Sich dafür sein böhmisches Reich zu einem Musterstaat ausbaut und einen Palast in Prag unterhält, mit tausend Bediensteten und Goldtapeten und Teppichen aus dem Morgenland.» Antonia hatte sich in Rage geredet. «Jetzt hat der Kaiser ihm Mecklenburg verpfändet, und alle reden mehr oder minder offen davon, dass er als Nächstes Württemberg an sich reißen will. Nicht etwa für unseren Kaiser, nein, für sich selbst. Vater hat das alles krank gemacht. Und als er ihn dann im Sommer aufgesucht und um Schonung für unser Land gebeten hatte, hat dieser Mann ihn aufs Tiefste gedemütigt. Daran ist Vater gestorben, nur daran.»
In ihren Augen schimmerten Tränen.
«Jetzt sind die Staatssäckel leer, ausgeplündert durch einen Krieg, den Vater niemals wollte. Ach Agnes, ich wünschte, alles wäre nur ein böser Traum. Eigentlich sollte ich es dir nicht sagen, aber –» Sie sah zu Boden. «Der Hofmarschall hat verkünden lassen, dass ein einziges Kammerfräulein für uns Kinder ausreichend sei, und dazu Clara ausersehen, die am längsten bei Hofe ist. Auf gar keinen Fall sollst du in diesem Dienst verbleiben.»
Morgen würde Wallenstein im Feldlager eintreffen, aus seiner neuen Residenz im mecklenburgischen Güstrow. Seine und Tillys Regimenter lagen über halb Deutschland verstreut, der Schlachtendonnerwar verstummt. Einen einzigen Stachel im Fleisch galt es jetzt noch zu beseitigen: den grobschlächtigen Dänenkönig Christian.
Matthes hustete und beeilte sich, sein grasendes Pferd aus dem Schatten zu führen. Von seiner bösen Krankheit vor zwei Wintern hatte er sich nie wieder richtig erholt, und nun, nach den Strapazen der monatelangen und letztendlich vergeblichen Belagerung Stralsunds hatte ihn wieder dieser hartnäckige Husten befallen.
Matthes hatte nie verstanden, warum Wallenstein den Mansfelder damals, nach ihrem vernichtenden Sieg in Dessau, hatte laufen lassen. Ihn stattdessen im darauf folgenden Sommer bis nach Oberungarn verfolgt hatte, nur weil dieser Zwerg sich dort mit dem ungarischen Freibeuter Gabriel Bethlen
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