Die Gauklerin
hinter dem Sarg ging? Hatte sie den Schmerz über den Tod ihres Vaters überwunden, oder würde er sie jetzt mit noch größerer Wucht treffen, wenn sich die Türen der Gruft unter der Stiftskirche endgültig hinter dem Sarg des Herzogs schlossen? Agnes wusste inzwischen, wie innig Antonia ihren Vater geliebt hatte, diesen geselligen und lebenslustigen Mann, dem die Familie über alles gegangen war, der so voller Begeisterung an seinem Hof die Musik und das Theater, die Kunst und die Literatur gefördert hatte. Viele Bürger hatten ihm angesichts der rauschenden Feste im Schloss Verschwendungssucht vorgeworfen, auch, dass er zu schwach gewesen sei, um angesichts der prekären politischen und finanziellen Lage ernsthaft durchzugreifen, und sich stattdessen lieber seiner jährlichen Hirschfeiste und den schönen Dingen des Lebens gewidmet hätte. Prinzessin Antonia hatte diese Vorwürfe niemals gelten lassen, stattdessen seine Güte und Freundlichkeit gegenüber jedermann hervorgehoben.
Seit zwei Jahren schon hatte Johann Friedrichs einst robuste Gesundheit gelitten, da halfen auch die zahlreichen Kuren in Wildbad und Teinach nicht. Immer häufiger hatte ihn Herzrasen gequält, dazu kamen schmerzhafte Gallenkoliken. Doch der Herzog war zuversichtlich geblieben, hatte die Sorge seines Leibarztes heruntergespielt und war auch tatsächlich nach jedem Anfall rasch wieder auf die Beine gekommen. Dann aber war er im Juli aus Göppingen zurückkehrt, von einer überaus fruchtlosen Unterredung mit Albrecht von Wallenstein, der mit Billigung des Kaisers seine Hände nach Württemberg ausstreckte. Schon auf der Rückfahrt, in seiner Kutsche, hatte Johann Friedrich einen Zusammenbruch erlitten; drei Tage später war er tot.
Fünf Wochen war das nun her. So lange hatten die Vorbereitungen für die prunkvolle Beisetzung und Trauerfeier gewährt, zu der Fürsten und Reichsstände aus ganz Deutschland angereist waren. Zugleich bedeutete dies den offiziellen Amtsantritt vonLudwig Friedrich, dem Bruder des Verstorbenen, der als Herzog-Administrator die Regierungsgeschäfte übernahm, bis Kronprinz Eberhard volljährig sein würde.
Agnes bekam Prinzessin Antonia an diesem Tag nicht mehr zu Gesicht, da fast das gesamte Hofpersonal zur Ausrichtung des Trauerbanketts abkommandiert war. Sie selbst war mit der Aufgabe betraut, den weiblichen Gästen Mantel und Umhang abzunehmen und sie zu Tisch zu führen, sie wieder herauszuführen, wenn sie sich erleichtern mussten oder frische Luft schnappen wollten. Der riesige Saal der Türnitz war voll besetzt, die Tafeln bogen sich unter den Silberplatten mit Fleisch, Fisch und Geflügel, unter den Pyramiden aus erlesenen Früchten und den Etageren mit feinem Gemüse. Wahrscheinlich würde dies auf lange Zeit das letzte prunkvolle Ereignis in der Residenz sein; von Rudolf, dem Lakaien, hatte Agnes erfahren, dass das Land wegen der aufgelaufenen Kriegskontributionen und nicht zuletzt der aufwendigen Hofhaltung hoch verschuldet war. Und neuerdings drohte der Kaiser, sich die ehemaligen Kirchenländereien zurückzuholen. Sie machten einen dritten Teil des gesamten Herzogtums aus.
Erst zur elften Abendstunde durfte sich Agnes zurückziehen, erschöpft und müde, denn sie war ununterbrochen auf den Beinen gewesen. David hatte die späte Stunde genutzt und war in ihr Bett gekrochen. Zusammengerollt lag er quer auf dem Laken, das hellbraune Haar wirr über der glatten Stirn. Sie schob ihn behutsam zur Seite und deckte ihn zu. Wie groß der Junge geworden war! Nächste Woche, wenn die Hoftrauer vorüber war, würde er mit der städtischen Knabenschule beginnen.
Agnes ging hinüber zum Waschtisch und löste ihr Haar. Das Gesicht, das ihr aus dem Spiegel entgegenblickte, war kein Mädchengesicht mehr, es war weicher, voller geworden, sicher auch eine Folge der kräftigen, regelmäßigen Mahlzeiten bei Hofe. Sie war jetzt siebenundzwanzig, eine Frau in den besten Jahren, und um die Augen zeigten sich tatsächlich die ersten Fältchen. Siegrinste ihr Spiegelbild an, die Fältchen vertieften sich. Wenigstens waren ihre Zähne noch weiß und kräftig und obendrein fast vollzählig.
War sie glücklich? Inzwischen bewegte sie sich mit einer Selbstverständlichkeit im Schloss, als habe sie ihr Leben lang in herzoglichen Diensten gestanden. Längst bewohnte sie mit David eine eigene Kammer, ein großes Zimmer im Nordostflügel, das bis dahin leer gestanden war. Prinzessin Antonia hatte dies bei ihrer Mutter
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