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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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hätte dich der Hofmarschall vorgeladen.»
     
    Vier Wochen später, an einem kühlen Märztag, überbrachte ein Kurier die Nachricht, die die bange Unsicherheit zur Gewissheit werden ließ: Seine Majestät Kaiser Ferdinand habe das Restitutionsedikt verabschiedet, ein kaiserlicher Kommissär werde für die Exekution sorgen, seinen Vorgaben habe das Herzogtum Württemberg unmittelbar Folge zu leisten. Bei Widersetzlichkeit sehe sich Seine Kaiserliche Majestät gezwungen, die Klostergüter mit Heeresgewalt einzuziehen. Im Übrigen verleihe er den angestammten Besitzern der Klöster und Stifte das Recht, in diesen Gebieten ihre Religion wieder einzuführen und alle unbotmäßigen Untertanen davonzujagen. Der Hofstaat zeigte sich zunächst wie gelähmt, dann ließ der Herzog-Administrator das wichtigste Kloster des Landes, Sankt Georgen im Schwarzwald, durch seinen Drillmeister und Major Konrad Widerhold besetzen, während sich Löffler erneut in den zähen Kampf um die Einheit des Landes warf und sich nach Wien begab.
    Agnes entging nicht die Beklommenheit, die auch im herzoglichen Frauenzimmer herrschte. Sie selbst verstand zu wenig von diesen Dingen, sah nur die besorgten Gesichter Antonias und der anderen Schwestern und begann schließlich selbst zu fürchten, die Tage des Friedens könnten bald vorbei sein. Sie ertappte sich dabei, wie sie zunehmend ungehalten über Davids derbe Soldatenspiele reagierte. Einmal, als der Junge mit seinen Spielgefährtendurch die Gänge tobte und dabei brüllte: «Gleich hab ich dich, Papist! Gleich bist du tot», hielt sie ihn am Arm fest, entriss ihm seine hölzerne Büchse, mit der er wild um sich schoss, und versetzte ihm eine Maulschelle.
    «Hier ist kein Krieg, hast du verstanden!»
    David sah sie verstört an. Tränen der Wut stiegen ihm in die Augen. «Das sage ich Vater, wenn er zurückkommt. Dass du mich geschlagen hast, weil ich Soldat spiele.»
    Er riss sich los und begann zu schluchzen: «Vater kämpft auch gegen die Katholischen, und ich werde dasselbe tun, wenn ich groß bin.»
    «Das wirst du nicht!», schrie Agnes ihn an. Dann zog sie den Widerstrebenden in die Arme, herzte und küsste ihn. «Ach David, Gott gebe, dass der Krieg bis dahin vorbei ist!»
    Und irgendwann, dachte sie, werde ich ihm die Wahrheit über seinen Vater sagen müssen.
     
    Der Mai brachte warme Vorsommertage und schließlich die erste gute Zeitung seit langem ins Land: Nach zähen Verhandlungen im fernen Lübeck hatte der Kaiser mit Dänemark Frieden geschlossen. Die Bauern und Bürger im Land atmeten auf, bei Hofe durfte wieder gelacht und getanzt werden. Ein Ende der jahrelangen Kriegswirren schien in greifbare Nähe zu rücken, die strikte Neutralität Württembergs hatte Früchte getragen. Und in Sachen Restitution der Klostergüter war außer wortreichen Depeschen vom Kaiserhof nichts weiter in die Wege geleitet worden.
    «Lass uns heute draußen studieren, es ist ein so herrlich milder Abend.»
    Antonia stand im Türrahmen, ihre Bücher unterm Arm.
    «Gern.» Agnes, die gerade dabei war, den mannshohen Ankleidespiegel der Herzogmutter zu polieren, hatte nichts dagegen. «Ich muss aber noch das Schlafgemach auskehren.»
    «Das ist ein Befehl.» Die Prinzessin lächelte. «Außerdem: Siehst du hier irgendwo ein Krümchen? Seitdem du Kammermagd bist, könnten wir vom Fußboden essen.»
    So verstaute Agnes ihre Utensilien und folgte der Prinzessin in den ‹Garten der Herzogin›, wo sie sich in der warmen Abendsonne auf eine Bank setzten. Vom Ballonenplatz im Lustgarten her vernahmen sie fröhliches Lachen und anfeuernde Rufe, Mädchen- und Jungenstimmen im Wechsel.
    «Wollt Ihr nicht lieber mit Euren Schwestern und Freunden Ball spielen?», fragte Agnes.
    «Du weißt doch, ich habe gerade mit dem Hebräischen begonnen, das lässt mich nicht los.»
    Agnes musste an sich halten, um nicht mit dem Kopf zu schütteln. Sechzehn Jahre zählte die Prinzessin nun und hatte nichts anderes als Lesen und Lernen im Sinn. Ob Antonia sich wohl schon einmal für ein Mannsbild interessiert hatte? Wohl kaum. Sie hatte ihre Nase ja immerzu in Lehrbüchern oder in Andreäs erbaulichen Schriften. Dazu kam neuerdings ihre Liebe zu Kunstwerken! Natürlich bewunderte Agnes Antonia für ihre Klugheit; aber die junge Frau wurde ihr auch immer unheimlicher. Sie hatte manchmal etwas der Welt Entrücktes an sich, etwas nahezu Heiliges. Wie anders waren da doch ihre Schwestern, die die Geselligkeit liebten und das

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