Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
Vom Netzwerk:
Magistrat und beim Herzog-Administrator, dass gegen diese Elemente nicht rigoros vorgegangen werde. Die Nachtruhe werde durch trunkenes Geschrei gestört, selbst während der Gottesdienste werde gezecht, und auf der Straße sei man seines Hab und Gutes, ja seines Lebens nicht mehr sicher.
    Und über allem schwebte ein furchtbares Damoklesschwert: das Restitutionsedikt. Seit einiger Zeit schon forderte Kaiser Ferdinand von den protestantischen Landesfürsten die Rückgabe der Klostergüter an ihre alten Besitzer. Bislang hatte das diplomatische Geschick des tüchtigen Doctor Jakob Löffler, des herzoglichen Vizekanzlers, die Katastrophe für Württemberg abwenden können, denn im Herzogtum hätte das den Verlust von nicht weniger als siebzig reichen Klöstern bedeutet, Hauptquelle der herzoglichen Einnahmen, Quelle auch der württembergischen Kultur und Bildung. Doch mit jedem neuen Sieg der Kaiserlichen im protestantischen Norden erscholl diese Forderung nachdrücklicher. Es war nur eine Frage der Zeit, dass sie mit Waffengewalt durchgesetzt würde.
    Agnes machte sich zunehmend Sorgen um Jakob und um ihre Mutter. Niemand vermochte ihr zu sagen, wie die Lage in Oberschwaben war. Sie selbst schrieb zwar regelmäßig nach Ravensburg, hatte aber von den beiden seit ewigen Zeiten nichts mehr gehört. Sie versuchte sich damit zu beruhigen, dass die Kurierdienste zwischen den süddeutschen Städten inzwischen alles andere als zuverlässig arbeiteten und viele Nachrichten einfach verloren gingen. Dennoch: Ihre Unruhe wuchs. Nur der arbeitsreiche Alltag und die Stunden mit Antonia vermochten es, sie von ihren Grübeleien abzuhalten. Nachts lag sie oft und lange wach.
    Else und Melchert hatten derweil beide ihre Arbeit verloren, und Agnes half ihnen mit dem Nötigsten aus. Doch auch bei Hofe wurde der Riemen spürbar enger geschnallt. Vorbei war die Zeit der Feste und Vergnügungen, die berühmte fürstliche Hofkapelle war auf die jämmerliche Zahl von zwei Dutzend Musikern geschrumpft, die Apanage für den Thronfolger und seine Brüder, die am Tübinger Collegium illustre studierten, wurde empfindlich gekürzt.
    Bei den Bediensteten wurde da natürlich erst recht an Lohnund Brot gespart, doch Agnes fand das Geschrei, das sich hierüber erhob, übertrieben. Hunger musste keiner von ihnen leiden. Was sie, wie auch die Prinzessin, fast mehr schmerzte, war die Verwahrlosung allerorts: Im Nesenbach stand mannshoch der Dreck, aus den Stadtmauern wurden nachts Steine herausgebrochen, der Lustgarten verwilderte. Dessen verfallende Schönheit hatte Antonia fast täglich vor Augen, denn die Gärten waren inzwischen der einzige Ort unter freiem Himmel, wo den Prinzessinnen ein Spaziergang erlaubt war. Überall im Land trieb sich ungehindert Soldateska herum, was Ausflüge in die Umgebung oder Reisen nach den Schlössern von Leonberg oder Böblingen zu einem gefährlichen Wagnis machte.
    «Ich komme mir vor wie in einen goldenen Käfig gesperrt», klagte Antonia, als sie wieder einmal über die zugewucherten Kieswege wanderten, kreuz und quer, von der einen Gartenmauer zur anderen. Sie bat Agnes um ihre Begleitung, sooft es deren Arbeit erlaubte.
    «Weißt du noch, letztes Frühjahr auf Schloss Nürtingen? Als die Wildhüter uns frühmorgens mit in den Forst genommen haben? Wie David sich zu Tode erschrocken hat, als ganz in seiner Nähe der Hirsch zu brüllen begann?»
    «Aber ja.» Agnes lachte. «Vor Angst hat er sich in die Hose gemacht.»
    «Oder bei Vaters letzter Badekur, in Wildbad. Wie er sich, als wir alle da waren, das Königreichspiel wünschte: Immer wollte er den Kammerdiener spielen, und du und Rudolf das Herzogspaar. Der arme Rudolf ist bald im Boden versunken, und du hast Mutter so großartig nachgemacht, dass Vater vor Lachen nicht weiterspielen konnte.»
    «Und ich musste mich vor Eurer Mutter in aller Form entschuldigen.»
    «Ach was, das wäre gar nicht notwendig gewesen. Mutter war nur so ungnädig, weil sie eine Soldatenfrau geben musste. Siehasst nämlich diese Mummereien.» Antonia seufzte. «Nun ja, wir werden es ohnehin nie wieder spielen, die Zeiten sind vorbei.» Sie hatten die Brücke am Schlossgraben erreicht. «Gehen wir zurück, mir ist kalt.»
    Als sie an der Pforte zur Küche vorbeikamen, sagte Antonia leise: «Übrigens hat Luise um ihre Entlassung gebeten. Sie ist wohl in ihr Heimatdorf irgendwo im Remstal zurückgekehrt, und ich bin froh darum. Ich weiß wohl, wie sie gegen dich gehetzt hat. Ums Haar

Weitere Kostenlose Bücher