Die Gauklerin
ins Gesicht, und sie beeilte sich, zurück ins Schloss zu kommen. Auf der Dienstbotentreppe begegnete ihr Luise, diese Schlange, ausgerechnet!
«Sehen wir dich demnächst also wieder am Spülbecken stehen?», fragte Luise mit falschem Lächeln. «Oder wollen sie dich da auch nicht mehr haben?»
«Kümmre dich um deinen eigenen Kehricht!»
Ohne ein weiteres Wort ließ Agnes die Küchenmagd stehen und rannte die Stiegen hinauf in ihr Zimmer, um sich rasch umzuziehen. Die Prinzessin würde gleich von ihrer Lateinlektion zurückkehren, und Agnes hatte versprochen, mit ihr das neue Vokabular zu repetieren. Wahrscheinlich zum letzten Mal, dachte sie bitter. Als sie nach kurzem Anklopfen in Antonias Zimmer trat, saß diese schon mit Heft und Lehrbuch bereit.
«Verzeiht, wenn ich so spät komme. Ich – ich war eben noch in der Kanzlei.»
«In der Kanzlei?» Antonia runzelte die Stirn. «Doch nicht etwa wegen deiner Entlassung?»
«Ebendeshalb. Doch Seine Durchlaucht hat mich nicht einmal angehört.»
«Das ist auch nicht mehr erforderlich.» Vergnügt klappte Antonia ihr Buch zu. «Du kannst bleiben. Zwar nicht mehr als Kinderfräulein, ich bin ja auch kein Kind mehr, aber als Kammermagd des herzoglichen Frauenzimmers.»
«Als – als Kammermagd?» Agnes hätte das Mädchen vor Erleichterung am liebsten umarmt. Stattdessen deutete sie einen Hofknicks an. «Das habe ich sicher Euch zu verdanken.»
«Nein, Herzogin Anna hat das durchgesetzt. Weißt du, meine Tante sieht in jeder Sparmaßnahme des Herzog-Administratorseine persönliche Kränkung. Als ich ihr von meinem Wunsch erzählte, dich hier zu behalten», sie lachte, «hat sie das sofort zu ihrem eigenen Anliegen gemacht und mit eiserner Dickköpfigkeit ihren Willen durchgesetzt. Dein Lohn wird allerdings etwas geringer ausfallen und deine Arbeit weniger angenehm. Putzen und Reinhalten unserer Zimmer eben. Dafür darfst du weiterhin mit David im Schloss wohnen.»
«Die Arbeit als Kammermagd schreckt mich nicht. Wenn ich nur nicht auf der Straße sitze.»
Oder gar neben Luise Geschirr spülen muss, dachte sie im Stillen. Genau das war es, was sie als Nächstes in Angriff nehmen musste: der boshaften Schlampe das Maul stopfen. Sie traute Luise weniger denn je. Und ihre neue Position würde Luises Geschwätzigkeit frische Nahrung geben.
Prinzessin Antonia zog einen zweiten Stuhl neben sich an den Sekretär und winkte Agnes heran.
«Und? Fangen wir an?»
Agnes nickte und nahm das in Leder gebundene Heft zu sich. Doch war sie heute nicht recht bei der Sache. Ihre Gedanken kreisten um Luise – irgendetwas musste es geben, womit sie diesem missgünstigen Weib an den Karren fahren konnte.
«Die Krankheit?»
«Morbus.»
«Der Tod?»
«Mors. Mit Nebenbedeutung Leiche.»
«Geburt?»
«Natus oder natio.»
Antonias Antworten kamen ohne Zögern.
«Schwanger, trächtig?»
«Praegnans, praegnantis.»
Das war es! Warum war sie nicht eher darauf gekommen? Mit ein wenig Glück würde sie Luises loses Mundwerk dauerhaft zum Schweigen bringen können.
Anderntags, gleich am frühen Morgen, fing Agnes die Spülmagd vor der Gesindeküche ab.
«Eins wollte ich dir schon lange einmal auf den Weg geben», sagte sie freundlich lächelnd. «Anstatt über andere Leute herumzutratschen, solltest du künftig lieber fein deinen Mund halten.» Luise sah sie geringschätzig an. «Soll das etwa eine Drohung sein?»
«Sagen wir, eine gut gemeinte Warnung – unter Freundinnen sozusagen.»
«An deiner Freundschaft ist mir wenig gelegen.»
«Sollte dir aber. Sonst könnte schnell die Runde machen, warum du letzten Winter unpässlich warst.»
Luise wurde leichenblass. Sie schien ins Schwarze getroffen zu haben.
«Zufällig», setzte Agnes nach, «habe ich die Bekanntschaft eines gewissen Weibes gemacht, das mehr weiß über jene – jene Unpässlichkeit, die dich dazumal geplagt hat.»
Luises Mundwinkel begannen zu zittern, dann stürzte sie stumm davon. Agnes sah ihr nach. Fast tat die andere ihr Leid. Sie hätte es niemals übers Herz gebracht, eine Frau wegen des Abbruchs ihrer ungewollten Schwangerschaft anzuzeigen. Aber das war ja auch gar nicht nötig. Fortan würde Luise sich hüten, Agnes gegen sich aufzubringen.
Der Winter kam übers Land und ließ die Menschen noch hoffnungsloser werden, als sie es bereits waren. In den Mauern der Residenzstadt trieben sich mehr und mehr Bettler und obdachlos gewordenes Landvolk herum. Mancher brave Bürger empörte sich beim
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