Die Gauklerin
mit goldenen Tressen erstanden, hier und da stolzierte ein gemeiner Fußknecht in Zobel und Marder gewandet. Auch Gottfried war nicht leer ausgegangen, er hatte eine fast nagelneue Sturmhaube gegen einen bunten Rock für sein Mädchen eingetauscht. Matthes aber zog den großen Gewinn: Nichts Geringeres als ein zweites Reitpferd vermachte ihm der Krabat in Anerkennung seines Kampfeinsatzes. Dahinter mochte eine gehörige Portion Eigennutz stecken, denn der hübsche polnische Fuchs mit seinen vier weißen Stiefeln und der schmalen Blesse hatte wesentlich mehr Feuer im Blut als Matthes’ alte Schimmelstute.
«Los, Gottfried, hol dein Pferd aus dem Stall. Wir machen ein Wettrennen draußen am Fluss.»
Gottfried verdrehte die Augen. «Mit meiner Schindmähre? Das ist doch wahrlich keine Herausforderung für dein neues Pferdchen.»
Eine halbe Stunde später schritten sie unter wolkenlos blauem Himmel nebeneinander her, eine frische Brise von der See hatte die Hitze der letzten Tage gemindert. Sie lenkten ihre Pferde zum Ufer der Peene.
«Willst du dir nicht auch endlich ein Mädel zulegen?», fragte Gottfried. Sein Tonfall war ernst. «Du bist schon ein richtig alter Hagestolz.»
«Hör mir doch auf mit Weibern.»
«Ich meine auch nicht irgendeine hergelaufene Metze, sondern eine Gefährtin, wie meine Mareike.»
Matthes lachte. «Vergebliche Liebesmüh! Schau, was gibt es Schöneres, als an einem Sommertag durch die freie Natur zu galoppieren. Und jetzt los – siehst du da vorn die Weiden am Fluss? Das ist das Ziel. Wer verliert, zahlt heute Abend die Zeche.»
Im selben Augenblick, als sein Fuchs zum ersten Galoppsprung ansetzte, hörte Matthes den kurzen, trockenen Knall. Er war nicht einmal übermäßig laut, und doch zerriss er die Welt: Als er sich zu seinem Freund umwandte, bäumte sich dessen Pferd vor Schreck auf, Gottfrieds Hände umklammerten die Zügel – aber sein Kopf war fort, weggefegt von einem Geschoss aus dem Hinterhalt, über den Kragen ragte nur eine blutige Masse, kein Mund mehr, der sich zum Schrei hätte öffnen können, nichts mehr.
Matthes glitt von seinem bockenden Pferd, stand wie festgewurzelt und starrte auf das, was seine Augen wohl sahen, sein Verstand indes nicht begriff: Ein zweites Mal bäumte sich Gottfrieds Pferd auf, und jetzt erst fiel der zerschossene Körper hintenüber – ganz langsam, denn die Zeit war fast stehen geblieben. Mit ausgebreiteten Armen, die den Sturz auffangen wollten, schwebte Gottfried zu Boden, einem kopflosen Engel gleich.
Schritt für Schritt näherte sich Matthes dem Freund. Er zog seinen Rock aus und legte ihn behutsam über Gottfrieds Schultern. Dorthin, wo nichts mehr war.
Er blickte hinauf in den tiefblauen Himmel. Zwei Lachmöwen zogen über sie hinweg, mit ihrem quärrenden Ruf. Endlich kehrte wieder Ruhe ein. «Gottfried?», flüsterte er, kniete nieder und berührte die leblose Hand. Er lauschte auf den kurzen, trockenen Knall, den er wieder und wieder vernahm, der das Vergangene von der Zukunft trennte, mit scharfem Schnitt, wie ein Schneider seine Stoffbahn.
Da öffnete sich Matthes’ Mund und ein markerschütternder Schrei zerriss die Stille, ein Schrei, der nicht enden wollte und bis an die Mauern der Stadt Wolgast drang.
14
«Seine Fürstliche Durchlaucht hat keine Zeit für eine Audienz. Ihr könnt gehen.»
Agnes war wie vor den Kopf geschlagen. Nicht einmal bis zur Antecamera des Herzog-Administrators war sie vorgedrungen. Es wäre ja auch ein Wunder gewesen, wenn sie empfangen worden wäre. Unschlüssig blieb sie in der Eingangshalle der Kanzlei stehen.
«Was glotzt Ihr? Soll ich Euch mit Gewalt hinausschaffen lassen?»
«Nicht nötig», entgegnete sie kühl. «Ihr sollt nicht in Verlegenheit kommen, Euch an einer wehrlosen Frau zu vergreifen.»
Erhobenen Hauptes verließ sie das Kanzleigebäude und überquerte den Schlossplatz. Innerlich kochte sie vor Wut. Nun war es doch so weit gekommen. Morgen sollte sie zum letzten Mal Prinzessin Antonia zu Diensten stehen. Dann würde Clara, als Einzige von ihnen, ihre Arbeit als herzogliches Kinderfräulein weiterführen. Dabei war Clara eine allein stehende alte Jungfer, während sie, Agnes, ein Kind zu versorgen hatte. Seine FürstlicheDurchlaucht interessierte das freilich nicht. Antonia hatte Recht: Ihr Vater war ein ganz anderer Mensch gewesen.
Oder steckte etwas ganz anderes dahinter? War die Saat dieser widerlichen Gerüchte um sie etwa aufgegangen?
Der Eisregen schlug ihr
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