Die Geächteten
gewesen sein musste. »Voilà, die Gästesuite«, sagte Stanton und machte mit seinem Arm eine ausladende Geste. »Ich hoffe, ihr werdet euch hier wohlfühlen.«
Hannah sah sich in dem Raum um und spürte, wie die Spannung langsam von ihr wich. Auch wenn das Zimmer und das, was sie von dem angrenzenden Bad sehen konnte, nur sparsam und einfach eingerichtet war, so handelte es sich doch um eine raffinierte Schlichtheit. Die Wände waren in einem blassen Gelb gestrichen, das die Abwesenheit von natürlichem Licht kompensierte. Die zwei gleich aussehenden Einzelbetten waren aus Schmiedeeisen, und die zurückgeschlagenen Daunendecken brachten frische weiße Laken zum Vorschein. Über dem Nachttisch zwischen den beiden Betten wölbte sich eine große Orchidee, deren weiße Blüten mit ihrem fuchsiafarbenen Zentrum so perfekt geformt waren, dass sie schon fast künstlich wirkten. Doch Hannah wusste es besser. Würde sie die Blüten berühren, wären diese unter ihren Fingern wie Seide – sanft und weich. Die Orchidee erinnerte sie an das Exemplar, das Aidan ihr geschenkt hatte, doch das war nicht der einzige Grund für das plötzliche Brennen in ihren Augen und nicht einmal der Hauptgrund. Es war die einfache Tatsache, dass sich hier eine Blume befand, hier in diesem Raum, den dieser Mann mit einer solchen Sorgfalt dekoriert hatte, weil er sie beide dieser anmutigen, perfekten und schönen Blume für würdig befand.
»Ich lasse die Damen dann mal allein, damit ihr euch frisch machen könnt«, sagte Stanton. »Ich würde mich gern zum Abendessen umziehen, und ich hoffe, ihr erweist mir die Ehre. Im Wandschrank befindet sich saubere Kleidung, die ihr anziehen könnt.« Er wies auf eine Treppe am anderen Ende des Zimmers. »Wenn ihr fertig seid, kommt einfach rauf. Das Essen wird in etwa fünfundvierzig Minuten auf dem Tisch stehen. Ich hoffe, ihr bringt guten Appetit mit. Ich werde das Flusskrebs-Étouffée meiner Großmutter zubereiten. Das hat schon so manchen Mann auf die Knie fallen lassen und zum Weinen gebracht, weil er sich im Himmel wähnte.« Er machte eine kleine Verbeugung und verschwand.
Die Frauen wuschen sich und zogen frische Sachen an. Im Wandschrank hingen Dutzende von Outfits, überraschenderweise alle elegant und sehr feminin. Erneut war Hannah von der Zuvorkommenheit ihres Gastgebers angetan. Kayla suchte sich eine dunkelgraue Satintunika mit V-Ausschnitt aus und zog darunter schwarze Leggings an. Hannah entschied sich für ein schwarzes Spitzenkleid mit langen, verhüllenden Ärmeln. Das Mieder saß etwas tief, doch das störte sie nicht weiter. Es fühlte sich einfach nur gut an, sich wieder wie eine Frau zu kleiden. Der Spiegel im Badezimmer wurde von oben durch eine Reihe runder Lampen hell erleuchtet – genauso wie im Ankleidezimmer eines Starlets in einem alten Video. Als Hannah ihr Spiegelbild in Augenschein nahm, sehnte sie sich ihre Perlenohrringe herbei. Sie musste kichern.
»Schau uns an«, sagte sie lachend. »Rot wie ein Feuerwehrauto-Paar und immer noch darum bemüht, sich herauszuputzen.«
»Ja, warum sollten wir das auch nicht tun?« Kayla stand neben ihr und flocht einen Abschnitt ihres langen schwarzen Haares. »Wir haben doch nicht damit aufgehört, Frauen zu sein, als sie uns verchromt haben.«
»Nein, das nicht, aber …« Hannah beendete den Satz nicht, um den Augenblick nicht zu verderben.
»Aber was?«
Hannah zuckte mit den Achseln. »Es ist nur so, egal, was wir machen, wir werden nicht hübscher.«
Doch kaum hatte sie diese Worte gesagt, fiel ihr auf, wie schön Kayla war, ob mit roter Haut oder ohne. Und wenn sie in Kayla Schönheit entdeckte und Paul dies konnte, konnte dann nicht auch irgendjemand etwas Schönes an ihr finden?
»Wenn du dich so siehst«, sagte Kayla mit einem beleidigten Gesichtsausdruck. »Mach weiter so und lauf als Vogelscheuche herum, dann sehe ich umso besser aus.« Sie sog ihre Wangen ein und nahm die Pose eines Models ein, dann brach sie in Lachen aus. Hannah lachte mit und spürte, wie ihr im Inneren warm wurde.
Sie gingen die Treppe hinauf. Die Tür am Ende bestand aus demselben Material wie der Tunnel. Hannah öffnete sie, und sie traten in ein großes Foyer. Sie hatte ein hübsches Haus erwartet, doch das hier konnte man nur als Villa bezeichnen. Die Böden bestanden aus schwarz-weiß gemustertem Marmor, der auf Hochglanz poliert war, und die Decken waren gefühlte sechs Meter hoch. Im Eingangsbereich hing ein Kronleuchter mit Hunderten
Weitere Kostenlose Bücher