Die Geächteten
selbst einen Brandy in ein Cognacglas. Er wirbelte die amberfarbene Flüssigkeit in dem Glas herum und schnupperte genüsslich daran, dann nahm er einen kräftigen Schluck.
»Jetzt zum Geschäftlichen«, sagte er und sah Kayla an. »Simone hat mich über deine Situation informiert. Es ist bedauerlich, dass das Virus nicht erneuert wurde, bevor du Texas verlassen hast. Es hätte das Ganze sehr vereinfacht.« In seiner Stimme schwang ein wenig Ärger mit.
»Ja«, sagte Kayla, »doch ich konnte mir das wahrhaft nicht aussuchen.«
»Nein, das wollte ich damit auch nicht gesagt haben. Wie fühlst du dich?« Obwohl er die Frage beiläufig gestellt hatte, war sein Blick entschlossen und starr.
»Gut. Normal.« Sie zuckte mit den Achseln.
»Du bist sicher, dass du in letzter Zeit nicht ein bisschen verwirrt warst? Oder dass du geglaubt hast, Hannah redet mit dir, obwohl sie gar nicht da war? Es ist wichtig, dass du ehrlich zu mir bist.«
Kayla sah Hannah scheinbar alarmiert an. »Hast du gerade was gesagt?« Niemand lächelte. »Ich habe bereits gesagt, dass es mir gut geht«, beharrte sie.
Stanton schaute sie längere Zeit an, dann nickte er, offensichtlich zufrieden über ihre Ehrlichkeit. »In Ordnung. Hier ist der Plan. Morgen bei Sonnenuntergang werde ich euch aus der Stadt bringen. Dort wird ein Auto auf euch warten. Weitere Anweisungen gebe ich euch dann.«
»Wir werden ganz allein fahren?«, fragte Hannah.
»Ja. So funktioniert es normalerweise. Ich war überrascht, dass Simone euch hergebracht hat, normalerweise gehen Susan und Anthony so ein Risiko nicht ein.« Stanton wartete, seine strahlenden Augen waren wie die eines Inquisitors auf die beiden Frauen gerichtet. Als sie nicht antworteten, lehnte er sich zurück und nahm einen weiteren Schluck von dem Brandy. »Und ich bin froh, dass sie so denken, auch wenn ich mich gefreut habe, Simone zu sehen. Sie gehört zur Familie.« Sein Gesicht erhellte sich vor Heiterkeit, als er ihren verwirrten Gesichtsausdruck sah. »Was, ihr könnt die Ähnlichkeit nicht sehen?« Er lachte. »Ich meine das nicht wortwörtlich, das reicht lange zurück.«
Hannah hatte den Eindruck, dass er nicht mehr erzählen würde, und fragte ihn daher: »Was ist unser Ziel?«
»Bowling Green, Kentucky. Ihr werdet dort bei George wohnen.«
»Und wohin gehen wir dann?«, fragte Kayla.
Er spreizte seine Hände mit den Handflächen nach oben. »Das weiß ich genauso wenig wie ihr. Jeder von uns kennt nur einen Halt davor und einen danach.«
Das macht Sinn, dachte Hannah. Menschen können nicht erzählen, was sie nicht wissen. Würde jemand festgenommen und befragt werden, könnte er nicht das gesamte Netzwerk preisgeben.
Trotzdem. Betty und Gloria bildeten drei Stationen vor Dallas, und alle vier Mitglieder von Susans Gruppe hatten über sie Bescheid gewusst. So gesehen mussten sie und die anderen in der Hierarchie der Novembristen höher angesiedelt sein als Stanton. Konnte Dallas der Hauptsitz der gesamten Organisation sein, und war Susan ihre Anführerin? Wenn sie an die überzeugende Kraft ihrer Stimme dachte, konnte sich Hannah das gut vorstellen.
»Ich habe Susan und Anthony noch nie gesehen«, fuhr Stanton fort. »Da seid ihr mir gegenüber eindeutig im Vorteil.« Er hielt inne. Dann fragte er sie in einem verschwörerischen Ton: »Hat Susan ein Gesicht, das zu ihrer herausragenden Stimme passt?«
Die Äußerung, die so sehr zu ihren eigenen Gedankengängen passte, verwirrte Hannah. Sie zögerte, dann sagte sie: »Ja, sie ist sehr eindrucksvoll.« Susan und Anthony vertrauten Stanton offensichtlich, doch dieses Vertrauen, so offensichtlich es auch war, hatte seine Grenzen. Wenn er sie bis jetzt nicht getroffen hatte, dann lag es daran, dass sie ihn nicht sehen wollten.
»Kann ich dir eine Frage stellen?«, fragte Kayla.
»Du darfst«, erwiderte er, wobei er seinen Kopf liebenswürdig neigte.
»Warum riskierst du eigentlich dein Leben für Frauen, die du gar nicht kennst?«
In seinen Mundwinkeln bildeten sich Klammern, die ein kleines, trauriges Lächeln umschlossen. »Das ist persönlich. Meine Mutter war eine leidenschaftliche Feministin, auch wenn man ihr das nicht ansah. Sie war die Südstaatenschönheit schlechthin, etwa so groß.« Stantons Hand schwebte einige Zentimeter unter seinem eigenen Kopf. »Mit einer Schwäche für Pink, die niemals auch nur einen Fuß aus dem Haus gesetzt hätte, ohne zuvor einen Lippenstift zu benutzen. Sie wollte an die medizinische
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