Die Geächteten
könnte. Ohne die Wahrheit und ohne mit dir mein Leben zu teilen, hätte ich kein Leben mehr, nur noch Finsternis und Tod.« Hannah schaukelte auf dem Bett hin und her. Wie hatte sie jemals an ihm zweifeln können?
»Ich werde Alyssa um die Scheidung bitten«, sagte er. »Doch bevor ich das tue, muss ich wissen, ob du mir vergeben hast und mich immer noch liebst. Wenn du mich nicht mehr …« Sein Gesicht sank in sich zusammen, und sie nahm dieselbe leere Verzweiflung wahr, die sie wochenlang im Spiegel gesehen hatte. Er verbannte diesen Gedanken, indem er heftig mit dem Kopf schüttelte. »Nein, das glaube ich nicht. Wie sehr ich dir auch Unrecht getan habe, weiß ich doch, dass du von Natur aus nicht nachtragend bist und dein Herz beständige Gefühle hegt. Und ich kann nicht glauben, dass Gott mir diese Visionen gesandt hätte, wenn es nicht in meiner Macht stünde, sie Wirklichkeit werden zu lassen. Deshalb, bitte, Liebling, ruf mich an und gib mir den Mut, das zu tun, was ich tun muss, damit wir unser gemeinsames Leben beginnen können.«
Die Nachricht war zu Ende. Hannah schaukelte hin und her, ihre Emotionen schwankten zwischen Liebe und Schmerz, Freude und Ungläubigkeit. Unser gemeinsames Leben . Was auch immer sie erwartet hatte, sie hatte nicht damit gerechnet, dass er dies sagen würde: das, wonach sie sich immer gesehnt hatte, von ihm zu hören, während sie ganz genau wusste, dass es nie dazu kommen würde. Und jetzt hatte er diese Worte ausgesprochen – und seit zwei Wochen keine Antwort von ihr erhalten. Was musste er denken? Dass sie tot war? Dass sie ihn nicht mehr liebte?
Sie widerstand dem Drang, sofort mit ihm in Kontakt zu treten, und spielte die letzte Nachricht ab, die er um fünf Uhr morgens am Weihnachtstag an sie geschickt hatte. Er sah schrecklich aus: gezeichnet, fahl, erregt. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen.
»Hannah, ich habe noch immer nichts von dir gehört, und ich kann nur beten, dass es nicht bedeutet, dass du mir nicht vergibst, und auch nicht, dass du krank bist oder in Schwierigkeiten steckst oder meiner Feigheit wegen irgendwie zu Schaden gekommen bist. Ich würde mir das niemals verzeihen.«
Er streckte seine Hand aus und packte das Kreuz, das um seinen Hals hing, so fest, dass seine Knöchel weiß wurden. »Ich wollte sicher sein, dass du mein bist, doch jetzt sehe ich, dass dies die letzte Prüfung ist, die der Herr mir schickt: Ich muss Alyssa die Wahrheit sagen, ohne dass ich weiß, ob du mich noch liebst oder überhaupt noch am Leben bist – auch wenn ich glaube, dass du noch lebst, ich muss es einfach glauben. Ende nächster Woche besuchen uns meine Eltern, aber sobald sie abgereist sind, werde ich Alyssa alles sagen. Und dann fahre ich nach Texas, um dich zu suchen.«
Aidan war mittlerweile beängstigend blass geworden, und auf seinen Augenbrauen standen Schweißperlen. »Ich werde diesen Test diesmal bestehen, meine Liebe. Ich werde nicht versagen. Das schwöre ich dir, das schwöre ich unserem Erretter.« Damit war die Nachricht zu Ende.
Hannah krabbelte aus dem Bett zum Video. »Antwort schicken, nur Audio.« Ihr Mund war so trocken, dass sie nur krächzen konnte. Sie ging ängstlich und verwirrt vor dem Bildschirm auf und ab. Was sollte sie ihm sagen? Was wollte sie ihm sagen? »Aufnahme stoppen.«
Hannah ging ins Badezimmer, trank aus dem Wasserhahn und kühlte ihr erhitztes Gesicht mit Wasser. Sie prüfte ihr Spiegelbild und versuchte, von ihrem Gesichtsausdruck ihre Gefühle abzulesen. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass er meinte, was er gesagt hatte. Er würde seine Ehe, seine Missionsgesellschaft, einfach alles für sie zerstören. Sie würden den Sturm irgendwie überstehen, heiraten, irgendwohin gehen und in Ruhe leben, zusammen alt werden. Das war eine verführerische Vorstellung und zugleich eine vertraute. Wie viele Male hatte sie neben ihm oder allein im Bett gelegen und sich ausgemalt, dass ihre Geschichte so enden würde? Doch in diesen Fantasien war Hannah ein völlig anderer Mensch gewesen, und das nicht allein ihrer weißen Haut wegen. Was sie Simone erzählt hatte, war nichts anderes als die Wahrheit: Sie konnte nicht wieder zurückgehen und diese Person sein. Doch würde Aidan die Hannah lieben, die sie geworden war?
Das Geräusch von Stimmen draußen erinnerte sie daran, dass die Minuten verstrichen. Sie hatte vielleicht noch eine halbe Stunde bis zur Rückkehr Simones. Sie lief zum Video. »Zeige die schnellste Route von hier
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