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Die Geächteten

Die Geächteten

Titel: Die Geächteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hillary Jordan
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der Decke herunterhing. Ein Handtuch und ein langes weißes Nachthemd hingen an Haken neben jedem Bett. Nur bei einem nicht. Dorthin führte sie Hannah. »Du wirst hier schlafen. Du wirst jeden Morgen dein Bett machen. Du wirst den Vorhang zuziehen, wenn du dich umkleidest. Ansonsten wird dieser Vorhang immer offen bleiben.« Bridget zog die erste Schublade des Nachttisches auf, in der ein Kamm, eine Schachtel mit Haarnadeln, eine Nagelfeile und eine Zahnbürste und Zahncreme lagen. »In dieser Schublade bewahrst du deine persönlichen Dinge auf.«
    »Seit wann bist du hier?«, fragte Hannah.
    Bridget blickte mit offensichtlichem Widerwillen auf Hannahs Fingernägel, die lang waren und von ihrer Zeit im Gefängnis kaputt. »Du wirst dich absolut reinlich pflegen.«
    Hannah war verlegen, aber entschlossen, dies nicht zu zeigen – warum musste diese Frau so grob sein? Hannah beobachtete sie mit gleicher Offenheit. Sie bemerkte die Falten auf ihrer Stirn und die Furchen, die sich um ihren Mund herum eingegraben hatten. Hannah setzte ihre erste Schätzung von Bridgets Alter um ein Jahrzehnt herauf. Sie musste um die fünfundvierzig sein.
    Stocksteif wie ein Soldat marschierte Bridget zum anderen Ende des Raumes und öffnete die Türen zu einem großen Wandschrank. Darin stapelten sich Dinge, welche die Gemeinschaft benötigte: haufenweise weiße Bettwäsche und Handtücher, langärmelige weiße Nachthemden und nach Größe sortierte Kleider in blassen, braunen, blauen und grauen Schattierungen. In den Schubladen lagen weiße
    Baumwollunterwäsche, Büstenhalter und dicke schwarze Strumpfhosen, Körbe mit Hauben und Tücher für den Sanitärbereich. Und auf dem Boden stand eine Reihe identischer schwarzer, flacher Schuhe, von klein bis groß. »Du wirst deine Unterwäsche täglich wechseln und dein Kleid alle zwei Tage«, sagte Bridget. Du wirst dein Nachthemd, deine Haube, Handtuch und Bettwäsche jeden Samstag wechseln.«
    Hannah folgte ihr durch einen Durchgang in ein großes Badezimmer mit vielen Duschen, Waschbecken-und Toiletteneinheiten. Eine junge Frau kniete auf dem Boden und schrubbte die Fliesen. Sie verzog leicht das Gesicht, als sie Bridget sah und schaute schnell wieder zu Boden, um ihr Unbehagen zu verbergen. Trotz des finsteren Gesichtsausdrucks und der roten Haut besaß das Mädchen umwerfende afrikanische Züge: dunkle, mandelförmige Augen mit faltenlosen Lidern, volle Lippen, eine flache Nase mit runden Nasenlöchern, einen langen, anmutigen Hals. Hannah empfand ihre Schönheit körperlich – als plötzliches süßes Stechen im Herzen, als inneres »Oh«, als Wunder. Wahre Schönheit, ob nun bei Menschen oder Dingen, hatte sie ihr ganzes Leben lang stets tief berührt. Trotz vieler strenger Vorträge ihrer Eltern über die Sündhaftigkeit, vergänglichen Dingen wie dem Aussehen einer Person Beachtung zu schenken, hatte ein widerspenstiger Teil in ihr sich geweigert zu glauben, dass dies falsch sei. Hatte Gott nicht die Schönheit geschaffen? Und war ihre Liebe zur Schönheit dann nicht eine Liebe zu Ihm?
    »Einen schönen Nachmittag, Wanderin«, sagte Bridget in einem wesentlich höflicheren Ton als zu Hannah. Sie schenkte dem Mädchen sogar eine Art Lächeln.
    »Einen schönen Nachmittag«, entgegnete das Mädchen mit einem passenden Halblächeln, das in Hannahs Augen erzwungen wirkte.
    Bridget wandte sich wieder Hannah zu. »Du wirst täglich vor dem Frühstück duschen, jedoch nicht mehr als drei Minuten. Deine Zähne wirst du zweimal am Tag putzen, deine Hände wäschst du dir jedes Mal, wenn du auf der Toilette warst.«
    »Das mache ich immer«, sagte Hannah gereizt.
    Bridget tat, als hätte sie das nicht gehört. »Du wirst dein Haar hochgesteckt lassen und schicklich bedecken, es sei denn, du schläfst.«
    Hannah hatte diese herablassende Litanei satt und fragte: »Oder was sonst?«
    »Ein Schritt vom Weg ab, und du wirst eine Verwarnung bekommen. Zwei Schritte vom Weg ab, und du wirst rausfliegen.« Sie schritt aus dem Raum. Hannah hörte Gemurmel und blickte herab. Das Mädchen auf dem Boden formte mit den Lippen das Wort »Zicke«. Seit Monaten zum ersten Mal wieder lächelte Hannah.
    Bridget wartete an Hannahs Bett mit weiteren Instruktionen. »Gebet ist um sechs Uhr dreißig am Morgen und um sieben Uhr abends in der Kapelle. Die Mahlzeiten finden um sechs, zwölf und sechs statt. Kommst du erst nach der Andacht, wirst du nichts zu essen bekommen. Du wirst die Vormittage in der Woche mit

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