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Die Geächteten

Die Geächteten

Titel: Die Geächteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hillary Jordan
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an ihrer eigenen Stirn – ein gemeinsames Ritual aus Kindertagen, das sie vollzogen, wenn sie sich gestritten hatten oder eine von ihnen in der Schule schikaniert worden war (meist Becca) oder Ärger mit den Eltern gehabt hatte (meist Hannah). So blieben sie eine Zeit lang stehen, während sie sich gegenseitig trösteten. Und wie immer lösten sie sich gleichzeitig voneinander.
    »Komm«, sagte Becca, nahm Hannahs Arm und führte sie die Treppe hinauf. »Wir müssen sehen, dass wir dich trocken kriegen.«
    Im Haus führte sich Becca wie eine Glucke auf, jammerte über Hannahs erbärmlichen Zustand und scheuchte sie unter die Dusche. Hannah war völlig unterkühlt, und das heiße Wasser war die reinste Wonne. Nachdem sie das Wasser abgestellt hatte, stand sie unter der warmen Luft der Trockendüsen, selbst dann noch, als Haar und Haut schon längst trocken waren.
    Anschließend warf Hannah einen prüfenden Blick in den Spiegel, ihr Körper war hager. Sie konnte ihre Rippen zählen und die spitzen, hervorstehenden Hüftknochen sehen. Seitlich vom Kopf hatte sich eine Beule gebildet, und ihr rechtes Ohr war geprellt und weich, doch die Haut war nicht verletzt. Immerhin, dachte sie zufrieden. Bob und die Henleys hatten ihr Schlimmstes getan, und sie hatte es überlebt – wenn auch nicht unversehrt, so doch zumindest unverletzt.
    Sie lieh sich einen weichen Wollpullover und einen alten Rock, den sie für Becca zu deren achtzehnten Geburtstag genäht hatte. Ihre Mutter hatte Hannah gedrängt, den Rocksaum aufzutrennen, weil sie ihn zu kurz fand. Sie sah sich noch, wie ihre Finger verärgert den Faden herauszogen. Becca hatte ihr gesagt, das würde nichts machen, der Rock sei immer noch schön. Doch Hannah hatte vergeblich versucht, ihrer Schwester zu erklären, dass sie falschlag, dass zwei Zentimeter mehr oder weniger den Unterschied zwischen schön und nicht schön ausmachen würden. Jetzt kam ihr ihre Teenager-Empörung über so eine nichtige Sache wie aus einer anderen Welt vor, wie ein fernes grünes Ufer unwiederbringlicher Unschuld.
    Hannah gesellte sich zu Becca in die Küche, wo sie der anheimelnde Geruch von Kaffee und Rindereintopf, der vom frischen Aroma des Weihnachtsbaumes im Wohnzimmer überlagert wurde, in Empfang nahm. Sie war ausgehungert und schlang deshalb einen Teller Eintopf hinunter, wobei sie sich den Mund verbrannte. Becca nahm den Teller und ging zum Herd, um nachzufüllen.
    »Was ist im Zentrum passiert, Hannah? Paps sagt, sie hätten dich rausgeworfen.«
    »Eigentlich bin ich gegangen, bevor sie die Chance dazu hatten.«
    »War es schrecklich?«
    »Es war entsetzlich.«
    Becca stellte den Teller vor Hannah ab und setzte sich ihr gegenüber. Mit betrübtem Gesichtsausdruck sah sie ihre Schwester an. »Das wundert mich. Deine Briefe haben ganz anders geklungen.« Sie streckte ihre Hand über den Tisch und drückte Hannahs Hand. »Du bist so dünn geworden.«
    Hannah sah sich ihrer beider Hände an, deren Form sich so ähnelte und die nun so augenscheinlich nicht zusammenpassten. »Und rot, das hast du vergessen«, sagte sie.
    »Wie hältst du das aus?«, fragte Becca zärtlich.
    Hannah befreite ihre Hand aus der ihrer Schwester und wies auf deren Auge. »Wie hältst du das aus? Und sag mir nicht, du bist gestolpert und gefallen.«
    »Es ist nicht so, wie du denkst«, sagte Becca. »Cole hat mich nie zuvor geschlagen, so einer ist er nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist diese Männergruppe, zu der er gehört, sie hat ihn verändert. Er ist nur noch aufgebracht und geht jeden Abend weg. Zweimal habe ich am nächsten Morgen auf seinen Kleidern Blut entdeckt.«
    Hannah spürte, wie sie im Nacken eine Gänsehaut bekam. »Und was sagt er dazu?«
    »Nichts. Er spricht nicht darüber, und ich traue mich nicht, ihn zu fragen.« Becca machte eine Pause und biss sich auf die Lippen.
    »Erzähl es mir, Becca.«
    »Letzte Woche habe ich etwas in seiner Jackentasche gefunden.«
    »Was?«
    »Einen Ring. Ich habe nie gesehen, dass er ihn trägt, er muss ihn aufsetzen, wenn er ausgeht.«
    »Was für einen Ring? Und was ist darauf?«
    In Beccas Augen standen Furcht und Verzweiflung, als sie Hannah ansah. »Eine geballte Faust, durchbohrt von einem blutigen Nagel«, flüsterte sie. »Ich glaube, Cole ist den Faustkämpfern beigetreten.«
    Hannah begann zu frösteln. Die Faustkämpfer Christi waren die brutalste und gefürchtetste Bürgerwehr in Texas, sie war verantwortlich für den Tod von Dutzenden

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