Die Geächteten
Autotür zuschlug.
Becca sprang auf, und ihre Hände umflatterten sie wie Schwalben. »Du musst gehen. Wenn er herausfindet, dass du hier gewesen bist, weiß ich nicht, was er tun wird. Geh durch den Hintereingang und versteck dich im Gartenschuppen, ich komme zu dir, sobald ich kann.«
Hannah hatte schon fast den Flur durchquert, als sie hörte, wie die Haustür aufging. »Wo ist sie?«, brüllte Cole. »Ich weiß, sie ist hier.« Kurze Stille. »Antworte mir, Becca!«
Hannah blieb stehen. »Ich bin hier«, sagte sie. Der überraschend ruhige Ton ihrer Stimme machte ihr Mut. Sie ging zur Schwelle des Wohnzimmers und begegnete seinem stechenden Blick. Er war für einen Viehtrieb oder eine Schießerei verkleidet, trug einen schwarzen Cowboyhut aus Filz, Stiefel aus Eidechsenleder und eine Gürtelschnalle, die die Größe einer Radkappe hatte.
Seine Augen glitten verächtlich über sie, dann wandte er seine Aufmerksamkeit Becca zu. »Was habe ich dir über deine Schwester gesagt, hä? Was habe ich gesagt?«
»Dass sie hier nicht willkommen ist«, stammelte Becca.
»Hast du irgendetwas daran nicht verstanden?«
»Nein, Cole.«
»Warum hast du sie dann ins Haus gelassen? Warum hast du mir nicht gehorcht?«
»Ich habe mich selbst hereingelassen«, sagte Hannah. »Die Hintertür war offen.«
»Ihr beide denkt wohl, dass ich total blöd bin.«
»Nein, Liebling, ganz bestimmt nicht«, sagte Becca mit brüchiger, verzweifelter Stimme, einer Stimme, die Hannah noch nie zuvor bei ihrer Schwester vernommen hatte. Hannah wurde wütend. Die Stimme einer Person klingt nicht einfach über Nacht so, dachte sie. Nein, da hatte jemand schon eine Weile mit wahrer Beharrlichkeit ganze Arbeit geleistet, um aus Unbehagen, Betroffenheit und Kummer jämmerliche Angst werden zu lassen. Hannah sah sich den Mann an, der die Stimme ihrer Schwester zur Unkenntlichkeit verstümmelt hatte, und fühlte innerhalb weniger Stunden zum zweiten Mal den inneren Drang, gewalttätig zu werden.
»Ich habe mir gedacht, dass sie hierherkommt«, sagte Cole. »Und ich habe mir gedacht, dass du sie geradewegs hereinspazieren lässt. Ich bin in Alarmbereitschaft, seitdem sie die Chrom-Station verlassen hat.«
Innerlich schlug Hannah sich selbst. Sie hatte das mit den Nanotransmittern vergessen. Alle Verchromten hatten als öffentliche Sicherheitsmaßnahme so ein Implantat. Jeder, der nach ihrem Namen recherchierte, konnte ihren Aufenthaltsort präzise lokalisieren und ihre Bewegungen via Geosat verfolgen. Doch es war ihr einfach nicht in den Sinn gekommen, dass Cole oder irgendein anderer, den sie kannte, ihre Spur verfolgte, und noch viel weniger, dass er in Alarmbereitschaft versetzt worden war. Doch sie hätte es wissen müssen.
Sie hatte Becca durch ihr Kommen in große Gefahr gebracht.
Hannah strengte sich an, ihren Ton milde und gesetzt klingen zu lassen. »Ich bin nur gekommen, um mich bei meiner Schwester zu entschuldigen. Sie dafür um Vergebung zu bitten, dass ich ihr und der Familie diese Schande bereitet habe. Ich war der Meinung, das sei ich ihr schuldig.«
»Du hast mich nicht um Vergebung gebeten«, sagte Cole. Er nahm vorsichtig seinen Hut ab und legte ihn auf den Couchtisch, dann ging er zu Becca, stellte sich hinter sie und zog sie an sich. Er drückte ihren Rücken gegen seine Brust und legte seinen Arm schützend über ihren Bauch.
Hannah presste die Worte heraus. »Es tut mir leid, dass meine Taten Schande über dich gebracht haben, Cole. Bitte vergib mir.«
Ohne den Blick von Hannah zu wenden, legte Cole seinen Mund ans Ohr seiner Frau. »Hast du ihr vergeben, Becca?«
Beccas Augen weiteten sich. Sie war unsicher, was die richtige Antwort war, diejenige, welche die Situation entschärfen würde. Schließlich sagte sie: »Ja, Cole, das habe ich.«
Sein Ausdruck wurde weicher, und er küsste sie auf den Kopf. »Natürlich hast du das, Kleines«, sagte er und streichelte ihr Haar mit seinen dicken Fingern. »Ich hätte von dir auch nichts anderes erwartet.« Vor Erleichterung schloss Becca die Augen und lehnte sich leicht an ihn.
»Ich habe noch nie jemanden wie meine Frau kennengelernt. Sie vergibt einfach alles.« Coles Stimme war emotionsgeladen, und ein Teil dessen, das bemerkte Hannah, war purer Selbstvorwurf. »Deshalb habe ich mich auch in sie verliebt.« Seine Hand bewegte sich abwärts zu Beccas blauem Auge. Er streichelte den Bereich mit seinem Daumen, dann ließ er die Hand sinken.
Er ließ Becca los, und sein
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