Die Geächteten
Touchscreen ein, dann bezahlte sie mit ihrem Ausweis. Ein Happy Meal, das macht glücklich , dachte sie. Der pickelige Teenager am Schalter händigte ihr vorsichtig die Tüte aus, darauf bedacht, sie nur nicht zu berühren. Er tat es trotzdem, erinnerte sich aber daran, sich zu bedanken und ihr einen McWonderful-Tag zu wünschen.
Sie nahm die Tüte mit in den Bahnhof und setzte sich auf eine der Bänke auf dem Bahnsteig. Obwohl das Essen salzig und fettig war, konnte sie sich nicht erinnern, jemals in ihrem Leben so etwas Gutes gegessen zu haben. Sie hörte Schritte und sah einen anderen Verchromten – einen jungen, männlichen Gelben. Mit dem demonstrativen Gang eines Geächteten marschierte er auf sie zu. Keine Bedrohung, entschied sie. Als er an ihr vorbeiging, taxierte er sie langsam von oben bis unten, dann winkte er ihr zu. Von der Straße konnte man einen lauten Knall hören. Hannah war etwas erschrocken, doch der Gelbe hüpfte herum, als wäre auf ihn geschossen worden, und wirbelte in Richtung Eingang. Dann ging er ängstlich in die Hocke, und seine Muskeln spannten sich an, bereit zum Kampf oder zur Flucht. Er brauchte einige Minuten, um seinen Irrtum zu bemerken. Er stand auf, schaute Hannah mürrisch an, als wäre es ihr Fehler gewesen, dann setzte er wieder eine unbekümmerte Miene auf und schlenderte den Bahnsteig entlang. Das billige Essen in ihrem Magen war in Aufruhr und bahnte sich seinen Weg zurück in die Speiseröhre. Sollte das ihre Zukunft sein? Auf öffentlichen Bänken zu sitzen, sich wie ein Tier das Essen in den Mund zu stopfen und darauf zu warten, dass ihr jemand Gewalt antat?
Der Zug fuhr ein. Die Rushhour war gerade vorbei, und es verließen mehr Menschen die Stadt, als in Richtung Stadt fuhren. Hannahs Wagen war nur zu einem Drittel besetzt. Sie nahm Platz abseits der anderen Passagiere, doch selbst jetzt standen die ihr am nächsten sitzenden Menschen auf, um sich woanders hinzusetzen. Eine Mutter mit einem Kleinkind im Arm ging sogar in den nächsten Wagen. Hannah hatte das Gefühl, in einer Art magischem Kreis aus Scham und Schande zu stecken. Ihr erster Instinkt bestand darin zu versuchen, sich unsichtbar zu machen, doch dann wuchs plötzlich eine Art Trotz in ihr, und sie blickte direkt in die Gesichter ihrer Mitreisenden, Menschen, die sich von ihr abgestoßen fühlten und sich moralisch höher einstuften. Die meisten wichen ihrem Blick aus, einige wenige starrten zurück, empfanden es als Affront, dass sie es wagte, sie anzusehen. Sie fragte sich, wie viele von ihnen wohl Lügner waren, wie viele Verbrechen hinter diesen Unschuldsmasken wohl so dunkel oder dunkler waren als ihr eigenes. Wie viele würden verchromt sein, könnte man die Wahrheit in ihren Herzen freilegen?
An der Mockingbird Station stieg sie aus und ging die Treppe hinunter. Mit einem schmerzlichen Gefühl erinnerte sie sich an den Besuch der Bibliothek der Southern Methodist University. Sie hatte das Gefühl, als wäre dies bereits Jahre her. Sie schob die Erinnerungen beiseite und ging in die entgegengesetzte Richtung nach Greenville. Dort wandte sie sich nach rechts und folgte dem Weg von Kayla und deren Verfolger – wenn er denn einer gewesen war. Dann ging es links weiter nach Kenwood.
Hannah hielt vor dem kleinen Ziegelhaus an, das sie auf dem Video gesehen hatte. Altmodische Wandleuchter aus Eisen flankierten die Stufen, die zum vorderen Eingang führten, und warfen einen angenehmen Glanz auf den sauberen Garten. Blühende Chrysanthemen in Töpfen standen an jeder Seite. Die Fensterläden waren geschlossen, doch sie konnte sich nicht vorstellen, dass dahinter irgendetwas Unheilvolles geschah. Stille. Sie dachte an Mrs. Henleys süßes Grübchenlächeln und sagte sich, dass sie achtsam sein müsse.
Die Tür wurde von einem jungen Mann Anfang zwanzig geöffnet, der ein Dallas-Cowboys-Sweatshirt trug. Irgendwie erinnerte er Hannah an eine Putte, wenn Putten denn an die zwei Meter groß wären: zerzauste hellbraune Locken, blaue Augen mit langen Wimpern, ein herzförmiges Gesicht, dessen Ausdruck irgendwo zwischen überrascht und schockiert war, als er sie sah.
»Ich bin hier, um Kayla zu sehen«, sagte Hannah ohne einleitende Worte.
»Oh!« Er warf einen Blick über die Schulter, schnell und verstohlen. »Bist du eine … Freundin von ihr?«
Sein offensichtliches Unbehagen verstärkte Hannahs eigenes Unwohlsein. »Ja. Ist sie da?« Sie versuchte, in den Raum zu spähen, doch sein Körper versperrte
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