Die Geächteten
mit ihren Fingern hätte sie ihm gern die Sorgenfalten aus dem Gesicht gestreichelt.
»Wenn du das siehst, wird der Prozess vorbei sein. Ich hoffe, du warst ehrlich. Ich hoffe, du hast mit der Polizei kooperiert und den Namen desjenigen genannt, der die Abtreibung vorgenommen hat. Und ich hoffe, du hast mich als Vater genannt und mich aufgedeckt. Denn ich bin ein Heuchler. Gott helfe mir, ich hätte es kommen sehen müssen. Ich sage mir selbst, ich schweige wegen Alyssa, doch vielleicht habe ich einfach nur nicht den Willen und den Mut, die Wahrheit zu sagen. Und wie kann ich die Schäfchen zu Gott führen, wenn ich selbst nicht durch die enge Pforte gehen kann?« Eine Welle des Abscheus rollte durch Hannahs Körper, als sie an ihren Empfang im Zentrum des Geraden Weges dachte.
»Hättest du mir gesagt, dass du schwanger bist, ich hätte das Baby anerkannt. Ich hoffe, du weißt das, Hannah. Ich bin sicher, du weißt es, doch du wolltest mich nicht in Schwierigkeiten bringen. Was für eine Ironie, das einzige Kind verloren zu haben, das ich je gezeugt habe. Was für eine göttliche Narretei! Gott ist wahrhaft ein brillanter Lehrer.« Sein Mund verzog sich zu einem bitteren Lächeln.
»Ich weiß, du hast dich gewundert, warum Alyssa und ich keine Kinder haben. Jeder wundert sich, doch sie fragen nicht nach dem Grund. Es liegt an mir, an meiner Schwäche und Arroganz und an meinem Egoismus. Kurz bevor ich Alyssa kennenlernte, war ich auf einer Missionsreise in Kolumbien, und dort habe ich mit einer Frau geschlafen. Nur einmal, doch es reichte aus, um die Geißel zu kriegen. Das war ganz am Anfang, als es noch keine Tests gab, und ich hatte keinerlei Symptome. Mir kam überhaupt nicht der Gedanke, ich könnte infiziert sein. Wie sollte so etwas mir passieren? Und dann traf ich Alyssa, wir verliebten und verlobten uns, und ich wollte nicht warten. Und ich schmeichelte ihr, und ich bedrängte sie, und endlich, einen Monat vor der Hochzeit, gab sie nach und ließ mich mit ihr schlafen. Wofür ich sie großzügig belohnt habe.« Aidan gab ein hässliches, gellendes Lachen von sich. »Wir haben es herausgefunden, als wir die Blutergebnisse für unsere Heiratserlaubnis erhielten. Wäre ich geduldig gewesen und hätte ihre Wünsche respektiert, hätte ich Gottes Wunsch geachtet, dann hätte ich sie nicht infiziert. Sie ging fünf Jahre durch die Hölle, bevor sie endlich das Heilmittel gefunden hatten. Doch da war sie natürlich schon unfruchtbar.«
So vieles, was Hannah bei Aidan nicht verstanden hatte, machte nun Sinn: seine dunklen Momente, seine Hingabe an Kinder, seine stoische Haltung seiner Frau gegenüber: Ich kann Alyssa niemals verlassen. So eine Schande kann ich nicht über sie bringen . Das Wort, das fehlte: noch einmal .
»Irgendwie hat sie mir vergeben, wir lebten unser Leben weiter und füllten unser Amt aus. Unsere Aufgabe wurde unser Leben. Ich habe so oft versucht, mit ihr über Adoption zu sprechen, doch sie hat immer wieder abgelehnt. Ich glaube, das ist ihre Art sicherzustellen, dass ich niemals vergesse, was ich ihr angetan habe. Gott weiß, sie hat das Recht, Rache zu nehmen.« Er neigte den Kopf. »So, jetzt weißt du, was für eine Art Mann du einmal geliebt hast.«
Erstaunt über seine Vergangenheitsform sagte Hannah: »Und immer noch liebe.«
Als ob er sie gehört hätte, sagte Aidan: »Wie kannst du mich lieben, nach allem, was ich dir angetan habe? Du musst dich dafür hassen, dass du mich liebst. Und ich möchte nicht, dass du dich hasst, Hannah. Erinnerst du dich daran, wie du mir erzählt hast, dass unsere Liebe von Gott kommen muss, dass er uns absichtlich zusammengebracht hat? Damals dachte ich, du wolltest unsere Sünde nur vernünftig begründen, doch heute weiß ich, dass du recht hattest. Das war Seine Absicht: mich dafür zu bestrafen, was ich Alyssa angetan habe.«
Hannah spürte, wie maßlose Wut in ihr aufstieg. So sah er sie also: als schieres Instrument seiner Bestrafung, als Messer oder Knüppel ohne eigene Willenskraft?
»Ich verdiene es zu leiden, aber ich ertrage es nicht, dass auch du leidest. Und wenn sie dich verurteilen …« Er verstummte … »Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um dir zu helfen. Ich bezweifle, dass der Gouverneur dich begnadigen wird, doch vielleicht kann ich Präsident Morales überzeugen, wenn ich ihn länger kenne. In der Zwischenzeit habe ich Geld auf dein Konto überwiesen, damit du nach deiner Entlassung von vorne anfangen kannst.
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