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Die Geächteten

Die Geächteten

Titel: Die Geächteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hillary Jordan
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einer seltsamen Eindringlichkeit gesagt.
    »Ich musste sie einfach nähen, sonst wäre ich explodiert. Sie sind …« Sie legte die Hand auf ihre Brust und klopfte dagegen, während sie nach einer Erklärung suchte.
    »Ein wesentlicher Teil von dir. Ein Teil, den du nicht anders zum Ausdruck bringen kannst.«
    »Genau so«, sagte sie überrascht.
    »Für mich sind es Mordwaffen und falsche Spuren.«
    »Was?«
    »Ich schreibe seit meiner Kindheit Kriminalgeschichten«, erklärte Aidan. »Ich habe versucht, damit aufzuhören, als ich ins Priesterseminar kam, doch ich vermisste sie zu sehr.« Sein Ausdruck war verlegen, fast kindlich. Sie fühlte eine Welle von Zärtlichkeit in sich aufsteigen.
    »Hast du jemals eine Geschichte publiziert?«
    »Nein, ich habe sie nie jemandem gezeigt.«
    Nicht einmal Alyssa? Hannah behielt diese Frage für sich, doch sie hoffte, die Antwort würde nein lauten. Sie wünschte sich etwas mit ihm, was andere nicht hatten. »Warum nicht?«, fragte sie stattdessen.
    »Sie sind nicht so gut.«
    »Ich denke, sie sind sehr gut. Du kannst fantastisch mit Worten umgehen.«
    »Abgesehen davon ist es für einen Mann der Kirche kaum angemessen, Geschichten über Mörder zu schreiben.«
    Oder eine ehebrüchige Affäre mit einem Mitglied deiner Gemeinde zu haben . »Darf ich eine lesen?«, fragte Hannah. Aidan zögerte. »Komm schon«, sagte sie, »ich habe dir meine gezeigt.«
    Seine Augen hatten sich zu Schlitzen verengt und seine Lippen zu einem lässigen, vertraulichen Lächeln verzogen. Seine Hand hatte er an ihre Brust geführt. »Das hast du«, hatte er gesagt und mit seinem Zeigefinger ihre Brustwarze berührt. »Aber ich mag dich lieber ohne sie.«
    Die Erinnerung war so lebhaft, dass sie fast seine Hände auf ihrem Körper spüren konnte. Ihre Lider waren geschlossen, als sie leicht ihre Brustwarzen berührte und an ihnen zupfte, wie er es getan hatte. Sie fühlte ein erregendes Stechen, ein dumpfes, mechanisches Echo dessen, was sie bei Aidan empfunden hatte. Sie öffnete die Augen. Ihr abscheuliches rotes Selbst starrte sie an.
    »Licht aus«, sagte sie.
    Sie ging zurück ins Schlafzimmer und schlüpfte unter die Decke. Kayla antwortete nicht auf ihr dahingemurmeltes »Gute Nacht«, und Hannah nahm an, dass sie bereits schlief. Sie schloss die Augen, fühlte sich hundemüde, doch zum ersten Mal seit Monaten in Sicherheit. Und trotz ihrer inneren Erregung holte der Schlaf sie ein. Gesichter, die ihr am Tag begegnet waren, tanzten vor ihrem inneren Auge auf und ab: der Erleuchter, die Henleys, die beiden Jungen im Auto, die Frau im Pfandgeschäft, Becca, Cole, die Aufpasserin in der Bibliothek, Tante Jo, Mrs. Bunten, Aidan, der Teenager bei McDonald’s, TJ, Kayla, Aidan. Ein düsteres Schauspiel aus Wut und Bösartigkeit, Betroffenheit und Ekel, Mitleid und Trauer. Das waren die Gefühle, die sie nun in anderen Menschen hervorrief.
    Neben ihr seufzte Kayla und setzte sich auf. Unter ihrem Gewicht knarrten die Dielen. Hannah hörte ein Flüstern, das leise Rascheln von Stoff, der auf den Boden fiel. Nackte Füße auf Holz. Das Quietschen von Bettfedern. Leises Gemurmel, unterbrochen von Stille und Stöhnen, erst sporadisch, dann rhythmisch und drängend. Den Schrei einer Frau, das Keuchen eines Mannes. Schließlich das Geräusch vom Weinen: erst das einer Frau, dann das von beiden.

 
    HANNAH SCHLIEF BIS MITTAGS und wachte von dem himmlischen Geruch nach gebratenem Frühstücksspeck auf. Sofort wusste sie, dass sie nicht mehr im Zentrum war, sie keine schnelle, lauwarme Dusche über sich ergehen lassen musste, kein kärgliches Frühstück, keine weitere einschläfernde Predigt von Pastor Henley, keine weitere grausame Erleuchtungssitzung mit Bob. Sie duschte und zog die Sachen an, die Kayla für sie hingelegt hatte: Jeans, Baumwollpullover, Unterwäsche, Socken, Turnschuhe. Hannah hatte niemals zuvor Hosen getragen, und das Gefühl, die Beine so behaglich umhüllt zu haben, machte sie irgendwie verlegen. Man hatte ihr immer wieder gesagt, dass Hosen für Mädchen ungeeignet seien, weil diese unanständig wären. Die Erklärung hatte für sie nie einen Sinn ergeben, denn abgesehen von bodenlangen Röcken bedeckten Hosen hundert Prozent der Frauenbeine. Nach ihrem sechzehnten Geburtstag hatte sie ihre Mutter einmal gebeten, ihr genau zu erklären, warum Hosen unanständig seien. »Weil sie die Blicke der Männer auf die Beine ziehen und diese sich daran erinnern, was dazwischensteckt«, hatte

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