Die Gebeine von Avalon
in erleuchteten Zeiten, und dadurch, dass sich das Wissen des Menschen mehrt, erkennen wir, dass das, was früher als Teufelswerk galt …»
Dudley unterbrach sich, um einen Schluck Cider zu trinken, schüttelte sich wegen des herben Geschmacks und wischte sich über den Mund.
«Vor zwei Tagen noch dachte ich, ich müsste sterben», fuhr er fort. «Und dann wurde ich von dieser Frau und ihren Kräutern geheilt. Also bin
ich
es, dem ihr Schicksal wichtig ist.»
Ich sah Dudley voller Dankbarkeit an, aber er blickte in die andere Richtung.
«Und was wäre, wenn ich Euch erzählte, dass das nicht alles ist», knurrte Carew. «Was wäre, wenn ich von weiteren Leichen erzählte – deren Gräber man geschändet hat?»
«Wo?»
«Hinter St. Benignus, wie man mir berichtet. Die Leichen wurden bei Nacht ausgegraben.»
Mir fiel ein, dass Fyche mir davon erzählt und dabei auch von Totenbeschwörung gesprochen hatte. Das Ganze gefiel mir überhaupt nicht, aber ich durfte mir nichts anmerken lassen.
«Und was hat
das
mit der Frau zu tun?»
«Das müsst Ihr Fyche fragen.»
«Die Befehlsgewalt über die Abtei liegt in
Euren
Händen, Carew», sagte Dudley.
«Und das Gesetz in den seinen», entgegnete Carew. «Ihr entschuldigt mich – mir scheint, ich habe in meiner Abtei noch einen Leichnam zu untersuchen.»
†
Wir begleiteten ihn zu der kleinen Hütte. Ich ging nicht mit hinein. Dudley erzählte mir später, dass Carew den Anschein erweckt hatte, als wäre die Untersuchung der Leiche für ihn nicht mehr als eine Formalität. Daraufhin hatte Dudley beschlossen, ihm nichts von den Spuren der mutmaßlichen Folterung zu erzählen. Inzwischen war auch er meiner Meinung, dass es schwer einzuschätzen war, auf wessen Seite Carew wirklich stand. Unwillkürlich musste ich an Martin Lythgoes Worte denken, nachdem Carew sich auf unserem Ritt nach Glastonbury über mich lustig gemacht hatte.
Wenn Ihr mich fragt, Doktor John, haben diese Kerle für zu viele Länder gekämpft.
Später gingen wir hinauf in mein Zimmer, um uns zu beratschlagen. Dudley hatte Cowdray angewiesen, sein Zimmer zu lüften und jegliche Spur der Krankheit darin zu tilgen. Aber sie zeigte sich immer noch als glänzender Schweißfilm auf seinem Gesicht.
«Also gut, erzähl», verlangte er. «Und lass nichts aus.»
Ich schloss die Tür und stellte mich davor.
«Die Behandlungsinstrumente gehören ihrem Vater. Er hat sie in ebenjener Nacht verwendet, um durch einen Kaiserschnitt Zwillingen auf die Welt zu helfen. Das erklärt das Blut.»
«Und das lässt sich beweisen?»
«Er wird es dir bestätigen.»
«Er ist ihr
Vater.
»
«Sie ist keine Hexe.»
Wen versuchte ich davon zu überzeugen? Was war denn eigentlich Hexerei? Wo fing sie an, wo hörte sie auf?
Dudley legte einen Arm um einen der Bettpfosten – jenen Pfosten, der sich nur wenige Stunden zuvor durch das Pulver der Visionen in einen Apfelbaum verwandelt hatte.
«Wenn dieser Fyche mit allen Mitteln beweisen will, dass sie mit dem Teufel im Bunde ist, dann wird er es auch tun, John. Er ist der Friedensrichter. Er kennt die Gerichte, er kennt die Richter. Er bekommt, was er will. Sie wird hängen.»
«Es sei denn, jemand –»
Ich verstummte. Mir wurde fast übel, als ich mir ins Gedächtnis rief, was ich Nel letzte Nacht gesagt hatte:
Wir leben in erleuchteten Zeiten – im Vergleich zumindest. Was mit Eurer Mutter geschehen ist, wird nicht noch einmal passieren.
«Jede Woche werden Leute aus sehr viel weniger schwerwiegenden Gründen gehängt», sagte Dudley. «Das muss
ihr
doch klar sein. Warum zum Teufel ist sie ihnen geradezu in die Arme gelaufen? Warum ist sie nicht in eine andere Stadt gegangen? Mit ihren Fähigkeiten wäre sie ohne Zweifel –»
«Wegen ihres Vaters.» Aufgeregt lief ich zum Fenster. «Deswegen ist sie letzte Nacht nach Hause zurückgekehrt. Sie hat Angst um ihren Vater. Fyche hat ihre Mutter aufknüpfen lassen, mit Hilfe von Beweisen, die nicht stichhaltiger waren als …»
Aber das wussten wir bereits alles. Ich drückte meine Hände gegen die Fensterscheibe und sah auf die Hauptstraße hinunter. Menschen hatten sich vor der Bäckerei versammelt, wo am Markttag Hammelpasteten feilgeboten wurden und deren Eigentümer alte magische Bücher studierte und davon träumte, Blei in Gold zu verwandeln.
«Carew ist ein grober Klotz, aber er weiß, wie die Dinge laufen», sagte Dudley. «Als er dich gewarnt hat … das sollte man nicht auf die leichte
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