Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
Vom Netzwerk:
hin zu dem, was Nel und ich in der Nacht zuvor besprochen hatten. Er unterbrach mich nicht ein einziges Mal. Es war wie damals, als er noch ein Junge und ich ein junger Mann war: Wenn ihn ein Thema interessierte, wie zum Beispiel Astronomie, saß er still da und lauschte gebannt.
    Meine Geschichte mochte spannend sein, erbaulich war sie indes nicht. Am allerwenigsten die Geschichte des Mönchs, von dem es hieß, dass er dabei zugesehen hatte, wie sein allseits beliebter Abt gefoltert, umgebracht und zerstückelt wurde. Hatte man ihm das angetan, weil er gewisse Geheimnisse nicht enthüllen wollte? Ich fragte Dudley, was er davon hielt, aber er antwortete mit einer Gegenfrage.
    «Wer weiß davon, John?»
    «Niemand
weiß
davon. Jedenfalls niemand, der am Leben gelassen wurde. Viele vermuten etwas. Aber wer wagt es schon, darüber zu sprechen?»
    «Der Tod von Mistress Borrows Mutter wurde also eingefädelt, weil sie Beweise gegen Fyche hatte?»
    «Der Hufschmied Monger glaubt zwar, dass sie wegen des Pulvers der Visionen sterben musste, aber ja, Nel ist der Meinung, dass dies der eigentliche Grund war.»
    «Aber das ist zwanzig Jahre her. Damals sind schlimme Sachen geschehen. Was soll denn das gewesen sein, was selbst Cromwells Leute nicht aus Whiting herausbekommen haben?»
    «Man munkelt, dass er einen Kelch versteckt haben soll. Das ist alles, was ich weiß.»
    «Doch nicht etwa den Gral?»
    «Das ist höchst unwahrscheinlich. Der besagte Kelch soll außerdem gefunden worden sein. Wäre es der Gral gewesen, hätte Heinrich sich das irgendwie zunutze gemacht, glaubst du nicht auch? Der Bewahrer des heiligsten aller Gefäße zu sein … das Feld des Güldenen Tuches kann da nicht ganz mithalten. Aber es könnte sein, dass es noch etwas gab … etwas, von dem Cate Borrow durch ihre Freundschaft mit dem Abt erfahren hat und das er auf jeden Fall zu verbergen suchte.»
    «Hat irgendjemand Artus’ Gebeine erwähnt?»
    «Nein, aber …»
    «Mit Sicherheit wissen wir also nur, dass die Gebeine während der Auflösung der Abtei verschwunden sind», fuhr Dudley fort. «Wahrscheinlich wurden sie auf Anweisung des Abtes an einen sicheren Ort gebracht. Falls er vermutete, dass der König selbst sie entweder umbetten oder zerstören wollte, um sie zu einem noch größeren Mythos zu erhöhen … und zu beweisen, dass Artus durch das Haus Tudor fortlebt …»
    «Dann hätte Whiting sie in jedem Fall verstecken lassen. Artus’ Gebeine waren für die Stellung Glastonburys schon seit dem zwölften Jahrhundert von großer Bedeutung.»
    «Und wenn Whiting
wusste
, wo sie waren, hätte er es nicht verraten … nicht einmal unter der Folter.»
    Folter.
Sobald das Wort ausgesprochen worden war, wusste ich, was er dachte. Die rostige Spitze unter Martin Lythgoes schwarz angelaufenem Fingernagel kam mir wieder in den Sinn.
    «Sogar im Angesicht eines grausamen Todes hat Whiting den Mund gehalten.» Dudley sah mich streng an. «Hörst du mir überhaupt zu, John?»
    «Natürlich.»
    «Du wirkst … abwesend.»
    Ich schüttelte den Kopf, um ihn wieder frei zu bekommen. In meinen zukünftigen Notizen über diese Erfahrung musste ich unbedingt vermerken, dass das Pulver länger als man vermuten mochte auf Körper und Geist desjenigen wirkte, der es einnahm. Einige Male war ich wieder in einen Zustand geraten, der nicht von dieser Welt schien.
    Das machte mir Angst – würde das für den Rest meines Lebens so bleiben? Vielleicht hatte Fyche ja recht, wenn er die Herstellung des Pulvers verhindern wollte.
    Und nun musste ich Dudley von dieser Erfahrung berichten. Was würde er davon halten? Wieder fielen mir seine Worte auf der Barke ein:
Ist John Dee nicht der größte Abenteurer von allen? Ein Mann, bereit, die Grenzen dieser Welt zu überschreiten.
    «Hier herrscht eine seltsame Stimmung», begann ich. «Etwas Ähnliches habe ich bisher noch nirgends sonst gespürt. Eine Stimmung aus dunklen Ängsten und zugleich … dem Glauben an Wunder. Genau das zieht viele Leute an und lässt Fyche fürchten, dass er dadurch seine Kontrolle über die Stadt verlieren könnte.»
    «Dasselbe könnte man vom ganzen Land behaupten, John. Hoffnung und Ängste.»
    «Hier ist es stärker zu spüren.»
    «Du bist ja auch ein Mystiker.»
    «Und nicht der einzige hier. Weise Männer aus fernen Ländern kommen hierher gereist. Verstehst du,
hierher
. Nicht nach England oder nach Glastonbury. Avalon. Irgendetwas ist hier. Ich weiß es. Ich … habe es

Weitere Kostenlose Bücher