Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman

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wäre, wenn es überhaupt eine Verhandlung gegeben hätte. Und für ein solches chirurgisches Geschick soll der junge Michel de Nostredame bekannt gewesen sein.»
    Als ich seinen vollen Namen nun zum ersten Mal ausgesprochen hatte, erfasste mich eine unerklärliche Leichtigkeit, als wäre ich in die Nacht des Sturms zurückgereist, als ich wie ein Engel durch den Nachtgarten geflogen war. Ich griff nach einem steinernen Sims hinter mir, als müsste ich mich daran festhalten, um nicht davonzuschweben.
    Nach einer Weile erhielt ich endlich eine Antwort.
    «Ich war – und bin immer noch – Arzt. Ein Arzt tötet nicht. Zumindest …» Er zuckte mit den Schultern. «Nicht absichtlich.»
    «Es gibt Ausnahmen», sagte ich.
    Er stellte den Kerzenständer zurück auf den Altar.

    †

    Ich schaute mich um. An der Wand neben dem Eingang, wo ich noch immer stand, hing ein Kruzifix, und in Nischen links und rechts daneben standen weitere kleine Statuen. Vermutlich von Heiligen.
    Auf dem Altar befand sich ein Tabernakel, und zarter Weihrauchduft hing in der Luft.
    «Ihr scheint zu frieren, mein Freund.»
    Er trug noch immer Mönchskutte, was in diesem Haus durchaus angemessene Kleidung war. Ich ärgerte mich, dass ich nicht sofort vom taubstummen Bruder Michael auf Nostradmus geschlossen hatte, sondern es erst begriff, als ich seine Stimme vernahm. In einem der Briefe an Borrow hatte er seine Ankunft im Februar bestätigt und mitgeteilt, dass er bei
unserem gemeinsamen Freund, dem Richter,
wohnen würde. Der Rest des Briefes war wohl in einer Art Code geschrieben und hatte sinnlos auf mich gewirkt.
    «Ich habe mein Zimmer heute in aller Eile verlassen», sagte ich, «nachdem ich Euren neusten prophetischen Vierzeiler gelesen hatte. Darin ging es um die Königin von England und die Gebeine von König Artus. Ich frage mich, wie er in die Hände von Throckmorton geraten ist.»
    Ich war zu weit gegangen. Sein geduldiges Lächeln verriet mir, dass er diesmal begriffen hatte, dass ich im Trüben fischte.
    «Dr. Dee, gewisse Fragen kann ich nicht beantworten.» Er berührte sein Ohr. «Ja, nicht einmal hören.»
    «Erhaltet Ihr … viele Botschaften … über die Königin von England?»
    «Ich habe keine Kontrolle darüber, was mir offenbart wird.»
    «Aber mit Sicherheit legt Ihr jede Eurer Offenbarungen bei Hofe Euren Herren vor. Sie werden doch vor ihrer Veröffentlichung überprüft?»
    Er holte Luft.
    «Dr. Dee», sagte er dann gelassen. «Ich weiß nicht, wie Ihr hier hereingekommen seid, aber ich freue mich wirklich darüber, die Bekanntschaft eines anderen Wissenschaftlers zu machen … ja, ich würde sogar ein Gespräch mit Euch über Astrologie, Alchemie, Meditation und viele weitere gelehrte Fragen sehr begrüßen. Allerdings müssten wir uns vorher darauf einigen, dass Staatsgeschäfte von dieser Unterhaltung ausgeschlossen bleiben.»
    Ein höchst unaufrichtiges Angebot, aber das sagte ich nicht.
    «Kommt.» Er streckte den Arm aus. «Ruht Euch eine Weile aus. Niemand wird uns stören. Das verspreche ich Euch. Heute Nacht wird kein anderer hier herunterkommen.»
    An der Wand neben dem Altar befand sich eine Steinbank. Ich nahm darauf Platz. Sofort überkam mich bleierne Müdigkeit, und ich war dankbar, dass es so kalt war. Nostradamus zog einen Stuhl mit Armlehnen heran, setzte sich mir gegenüber und legte die Hände in den Schoß.
    «Es betrübt mich, dass, nach allem, was ich höre, Eure Talente in Eurer Heimat weniger geschätzt werden als die meinen in Frankreich. Was, wie Ihr ja selbst erklärt habt, an Englands Werten liegt.»
    «Ich bin mir nicht sicher», antwortete ich, «ob man unsere Talente vergleichen kann.»
    Er zuckte mit den Schultern, streckte die Hände aus, und ich musste mir in Erinnerung rufen, dass seine Kutte nur eine Verkleidung war und vielleicht sogar mit Absicht in die Irre führen sollte. Dieser Mann war kein Mann der Kirche, war es nie gewesen.
    «Weshalb seid Ihr wirklich hier?», wollte ich wissen.
    «Eine verständliche Frage. Die Ihr bereits beantwortet habt. Ich habe großes Interesse an dieser Insel. Die Pforten zur Vergangenheit stehen hier weiter offen als fast überall sonst in Europa. Insbesondere dieser Ort hier … besitzt eine Verbindung zu lange vergangenen Zeiten, eine Kontinuität, wie es sie bei uns nicht gibt. Und anscheinend auch eine Verbindung zum Kosmos, die andernorts … längst verloren gegangen ist.»
    «Ah.» Jetzt fischte ich nicht mehr im Trüben.