Die Gebeine von Avalon
geblieben, nachdem sie Lelands Notizen geerbt hatte. Bald darauf war sie wegen Hexerei und Mordes angeklagt worden.
Und danach war das Notizbuch Borrow in die Hände gefallen. Der hatte zumindest begriffen, wie bedeutend es war, und dann entweder seine Herren darüber unterrichtet oder Nostradamus selbst. Wie lange hatte Michel de Nostredame wohl mit Hilfe eines Übersetzers gebraucht, bis er Lelands Aufzeichnungen entziffert hatte? Hatte er auch herausgefunden, wo die letzten Mönche von Glastonbury Artus’ Gebeine vergraben hatten? Hatte ihr Grab wirklich im Kleinen Bären gelegen? Und wo befanden sie sich dann jetzt? Auf dem Weg nach Frankreich?
Nostradamus war zweifellos wegen des Tierkreises nach Glastonbury gekommen, was sein Interesse an Altertümern bewies. Und dann hatte er das Notizbuch an Borrow zurückgegeben.
Wertlos,
hatte Borrow zu Dudley und mir gesagt.
Okkultismus
. Weil er wusste, dass mich genau das schnell dazu bringen würde, das Unaussprechliche zu tun – den Köder zu schlucken und in die Falle zu tappen. Wäre die Suche nach den Gebeinen nicht so gefährlich und schwierig verlaufen, wären wir viel skeptischer gewesen, was unseren Fund anging.
Matthew Borrow war ein kluger Mann.
†
«Wann wart Ihr in Montpellier?», erkundigte ich mich. «Falls die Frage gestattet ist.»
Nostradamus zuckte mit den Schultern.
«Ungefähr 1529. Ich war sechsundzwanzig.»
«Und habt ihn unter Eure Fittiche genommen. Den jungen Matthew Borrow.»
«Er konnte hervorragend auf sich selber aufpassen, Dr. Dee. Das bringt eine Erziehung bei den Jesuiten so mit sich.»
Ich umklammerte den Rand der Steinbank.
Teufel!
Ein Jesuit! Die Speerspitze der katholischen Kirche.
Ich versuchte, keine Miene zu verziehen, nickte nur, als wäre mir das längst bekannt.
Jetzt ergab es einen Sinn. In der Stadt hatte er als Ungläubiger gegolten, der nur in die Kirche ging, um einer Geldbuße zu entgehen. Nun, besser man galt als Atheist denn als Jesuit. Matthew Borrow hasste die protestantische Kirche mit Inbrunst.
Wo es doch offensichtlich ist, dass das Papsttum selbst, die stärkste religiöse Festung, die die Welt je gesehen hat, nicht etwa durch eine aufkommende Geisteshaltung aus dem Land verdrängt wurde, sondern … sondern durch die fleischlichen Begierden eines einzelnen Mannes …
Das erklärte auch seine Grausamkeit und Gefühllosigkeit. Die Kälte eines Eiferers, gepaart mit der kalten Intelligenz eines Jesuiten und einer fast mystischen Intuition.
Ich lächelte nicht.
«Wart Ihr es, der den französischen Hof darauf hinwies, dass er einen erstklassigen Spion in seiner Heimatstadt abgeben würde?»
Keine Reaktion. Aber ich wusste auch, warum. Fyche hatte aus Meadwell das Zentrum einer möglichen katholischen Rebellion gemacht. Doch wussten die Franzosen, ob sie ihm wirklich trauen konnten? François de Guise und Charles, Kardinal von Lorraine, wollten mit Sicherheit einen ihrer eigenen Vertrauten in Avalon vor Ort haben.
«Ich habe mich gefragt, was er von Frankreich wohl für seine Dienste bekommt – vielleicht eine regelmäßige Geldzuwendung und das Versprechen von Land und Titel, wenn die Königin von Schottland und Frankreich auch Königin von England ist?»
«Dr. Dee.» Nostradamus sah mich finster an. «Bisher habe ich mich geduldig gezeigt, angesichts Eurer nicht enden wollenden –»
«Nur noch eine Frage … bevor ich Euch im Interesse der Wissenschaft meine Theorie über den Tierkreis anvertraue. Was wisst Ihr über die Wollkämmer-Seuche?»
†
Es war gut möglich, dass Borrow auf die Wollkämmer-Seuche gekommen war, für die er inzwischen ein Experte sein musste. Vielleicht war es aber auch der Einfall eines französischen Meisterspions gewesen, eines ehrgeizigen jungen Walsingham, der das Notizbuch gesehen und überlegt hatte, wie man es am besten verwenden konnte.
Hatte Nostradamus wirklich davon gewusst?
«Als Arzt habt Ihr Euch doch um Pestkranke gekümmert?»
Ich dachte an die Seuche in Aix-en-Provence vor ungefähr fünfzehn Jahren. Die Stadt war so schlimm heimgesucht worden, dass zahllose Häuser leer standen und Kirchen geschlossen wurden. In diese Hölle war Nostradamus als Arzt gereist. Eine mutige Tat.
«Eine grausige Erfahrung», sagte er. «Um die Wahrheit zu sagen, konnte man dort nicht viel ausrichten, außer den Gesunden dabei zu helfen, sich nicht anzustecken. Dennoch ist es gut für die eigene unsterbliche Seele, um eines solchen Zwecks
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