Die Gebeine von Avalon
durch ihr Schweigen beschützten … und wenn man es doch erwähnte, dann nur, um die Zukunft Glastonburys dadurch zu sichern. Genau so, wie es die Mönche des zwölften Jahrhunderts mit Artus’ Gebeinen gehalten hatten.
Die Mönche. Seit über tausend Jahren die Hüter dieses geheiligten Ortes.
Was bedeutete das? Was bedeutete das
heute
? Alle Klöster und Abteien waren Horte uralten und esoterischen Wissens gewesen, und gerade Glastonbury Abbey als die älteste von allen – Grundstein des Christentums in England – musste viele heilige Geheimnisse hinter ihren Mauern verborgen haben.
Was all ihre Schätze anging, das Gold und die Gebeine … so waren sicherlich vertrauenswürdige Leute auserkoren worden, die dann alles von Wert rechtzeitig fortgeschafft hatten, bevor die Abtei in die Klauen des Brodelnden Vulkans geriet.
Es war durchaus vorstellbar, dass man einige dieser Dinge nach Frankreich geschmuggelt oder in der walisischen Wildnis versteckt hatte.
Dennoch …
… Obwohl die Abtei in Trümmern liegt, ist der Ort selbst noch immer geheiligt. Es gibt gewisse Dinge, die kann man nicht zerstören. Dinge, die einem Ort innewohnen …
Ich musste an Bruder Michael denken, den Taubstummen, der Fyche begleitet hatte, und daran, welche Schätze sich in seiner stillen Welt verbergen mochten. Und ich dachte an Abt Whiting, den sanftmütigen alten Mann, der seine Geheimnisse trotz Folter und Pein nicht preisgegeben hatte, bevor er auf dem Hügel des Teufels einen langsamen und grausamen Tod gestorben war.
Es schien doch richtig gewesen zu sein, dass ich mich wegen der Gebeine nicht an Fyche gewandt hatte. Das war eine Frage, die ich dem alten Abt selbst stellen musste.
Mir schauderte, und mein Atem ging schwer. Auf der anderen Straßenseite lag, im Lichte des vollen Mondes, der ruhelose und geschändete Leichnam der Abtei.
Es war nach drei Uhr in der Früh. Plötzlich überkam mich die Sorge um das Wohlergehen meiner Mutter und von Catherine Meadows daheim in Mortlake. Ich kniete nieder, um für ihre Sicherheit zu beten.
Wäre ich danach zu Bett gegangen, hätten sich meine Gedanken und Träume nur erneut auf die Suche nach der Hexentochter gemacht. Ich legte mein altes braunes Gewand ab und zog meine Tageskleider an.
XVIII Das erste Zeitalter des Lichts
D rei Sphären.
Die irdische Sphäre, die himmlische oder astrale Sphäre und dann noch die darüber, wo die Engel wohnen.
Obwohl sie es mir gegenüber nie erwähnte, bin ich mir recht sicher, dass meine Mutter einmal gemeinsam mit Goodwife Faldo eine Frau aufgesucht hat, die behauptete, mittels einer Kristallkugel in die Gesichter der Toten blicken zu können.
Da der Besuch kurz nach dem Tod meines Vaters stattfand, kann ich verstehen, warum meine Mutter das getan hat. Ich hingegen wusste schon damals, dass ich nach Höherem streben, mit den Engeln in Kontakt treten musste, weil man nur in ihrer Sphäre Wahrheit und Licht findet und keine Trugbilder.
Und somit auch
keine Geister
. Ein Geist in unserer Welt ist etwas
Unnatürliches
. Den Geist eines Verstorbenen in unsere Sphäre zu rufen, das ist Totenbeschwörung, Nekromantie. Selbst wenn es sich dabei um den Geist meines armen Vaters handelt.
Verhielt es sich wohl ebenso mit dem Geist von einem Mann Gottes?
Ich glaubte Bonner zu hören, als er mir die Frage stellte, die über mein Leben entscheiden sollte:
Dr. Dee … seid Ihr der Ansicht, dass die Seele göttlicher Natur ist?
Und wie ich ihm darauf mit dem geantwortet hatte, woran ich wirklich glaubte:
Die Seele … ist nicht an sich göttlich. Sie kann jedoch göttlich werden.
Und Bonner darauf:
Und wie, Doktor, vermag die Seele diese Göttlichkeit zu erlangen?
Durch Gebete,
war meine Antwort gewesen.
Und vielleicht … durch den Erwerb von Wissen.
Ich hatte richtig geraten, denn Bonner war genau wegen dieses Wissens zu mir gekommen.
Aber die dritte Möglichkeit hatte ich ihm vorenthalten: das
Martyrium
.
Wie es jemand erleidet, der gefoltert, gehängt und gevierteilt wird.
†
Die Nacht war kalt, allerdings fror es nicht. In meinen Umhang gehüllt, betrat ich im Schutze der Dunkelheit durch das unverschlossene Tor den Grund und Boden der Abtei. Nie hätte ich geglaubt, dass es so leicht sein würde, dort hineinzugelangen. Andererseits gab es, abgesehen von den Steinen, ja wirklich nichts mehr zu stehlen.
Ich hatte alles gelesen, was ich über die Geschichte und die Anlage der Abtei finden konnte. Das reichte, um die
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