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Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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geplünderten Überreste vom stattlichen Haus des Abtes zu erkennen sowie auch das markante Küchengebäude mit seiner Fiale, die wie blasses Eis im Mondlicht schimmerte. Dahinter befand sich die Marienkapelle, wo man Artus’ Gebeine entdeckt hatte.
    Aber der Zustand der Abtei entsetzte mich. Was einst ein gepflegter Rasen gewesen sein musste, war nun eine Wildnis aus Büschen und Brombeergestrüpp, das an meinen Stiefeln zog und zerrte. Neben mir ragten kaputte Mauern auf wie ein alter Kadaver, den man dem Wetter und den Krähen überlassen hatte. Ja, ich konnte den Verfall sogar riechen, feucht und stinkend.
    Ich blieb stehen und schaute mich im silbrigen Mondlicht um. In der Nähe waren mehrere Gelasse angebaut worden, für den einzigen Besuch, den der Großvater der Königin dem Kloster abgestattet hatte. Heinrich VII . hatte sich mit Sicherheit die schwarze Marmorgruft angesehen. Was hatte man wohl diesem Mann darüber erzählt, der mit seinen Truppen von Wales aus durch England geritten und so auf den Spuren des unsterblichen britischen Königs gewandelt war? Konnte der Beweis für den Tod des großen Artus eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit und Legitimität seines Sohns Arthur gewesen sein?
    Doch damals hatte noch niemand die Kirchenspaltung vorausahnen können, und Heinrich Tudor hätte die Ruhe der Gruft sicherlich niemals gestört. Außerdem war aus einem neuen Artus dann ohnehin nichts geworden. Prince Arthur starb noch vor seinem Vater, der ihm kurz darauf folgte. Wie man sagt, soll Heinrichs Herz vor Trauer gebrochen sein, und gleichzeitig hatte er wohl eine Wahnsinnsangst davor, dass die Tudors durch ihre Anmaßung einen alten Fluch auf sich geladen hätten, anstatt eine glorreiche Herrschaftslinie zu begründen.
    Als ob
ausgerechnet Heinrich Tudor
sich über irgendeine Anmaßung den Kopf hätte zerbrechen müssen. Wenn schon dieser verhältnismäßig bescheidene und besonnene Mensch Grund gehabt hatte, sein Geschlecht für verflucht zu halten, wie musste es da erst dem Sohn ergangen sein, der ihm statt Arthur auf den Thron gefolgt war? Kriege hatte er angezettelt, einen Palast nach dem anderen bauen lassen – die allesamt nur seiner eigenen Verherrlichung dienten – und dann die Kirchen und Klöster zerstört und geplündert, um all das zu bezahlen. Kein Wunder, dass die Königin Angst hatte und sich vom Bösen verfolgt fühlte.
    Heimgesucht.
    Ich schaute zum Firmament hinauf und suchte nach meinen fernen Freunden, den Sternen, entdeckte die glitzernden Juwelen des Oriongürtels und dann die in dieser Nacht besonders hell strahlenden sieben Gestirne des Ursa Major, des Großen Bären. Unwillkürlich streckte ich ihnen die Hände entgegen, als wollte ich nach einem Haufen Edelsteine greifen. So stand ich dort inmitten der Ruine der alten Abtei, deren Mauern weiß und grau wie verwitterte Knochen neben mir aufragten.
    Ich hörte etwas, drehte mich um und erkannte kleine, mondbeschienene Kugeln.
    Grundgütiger …
    Grasende Schafe, auf dem Gelände der Abtei.
    Ich setzte mich auf eine niedrige Mauer, bis mein Atem wieder ruhig ging, und stellte mir vor, die Abtei sei von zahllosen brennenden Kerzen erleuchtet, deren Licht im Rhythmus lateinischer Gesänge flackerte. Auf diese strahlende Vision konzentrierte ich mich, stand auf und malte mit der rechten Hand vor mir das Zeichen des Pentagramms in die Luft und auf den Boden.
    Es war ein alter Bannzauber, der allein jedoch nicht ausreichte. Ich kniete mich in die Mitte dieses imaginären Pentagramms, zwischen die kaputten Steine am Eingang des Mittelschiffs, und begann flüsternd das Schutzgebet des heiligen Patrick zu sprechen, das mit Sicherheit auch Artus selbst gekannt hatte.
    Christus sei mit mir, Christus sei in mir,
    Christus sei hinter mir, Christus sei vor mir,
    Christus sei neben mir …
    Ich verstummte. Was
tat
ich hier eigentlich?
    Doch in meinen Gedanken wiederholten sich die Worte auch ohne mein Zutun unablässig, fanden selbständig ihren eigenen Rhythmus.
    Naturmagie.
    Mich schützet nun die Macht
    Der himmlischen Dreifaltigkeit,
    Gott Vater, Sohn und Heil’ger Geist,
    Die Drei sind Eins, und Eins ist Drei …
    Als ich fertig war, hielt ich meine Augen weiter fest geschlossen und rief mir ins Gedächtnis, was jene Leute über den Abt gesagt hatten, die sich an sein Schicksal und Leben erinnerten.
    Cowdray:
Ein alter Mann, verprügelt und geschunden wie irgendein gemeiner Dieb.
    Mistress Borrow:
Sein Gesicht … er hatte viele

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