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Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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im Gasthaus gehämmert, bis ich das Zimmer fand, in dem er schlief – anscheinend mit einem der Küchenmädchen. Jetzt stand er am Rande des Chorgangs und erschauderte beim Anblick dessen, was ich entdeckt hatte. Er bekreuzigte sich und wandte sich ab, fast als wäre er ärgerlich.
    «Ich schicke einen Burschen los, um Sir Edmund Fyche zu holen. Und ein paar Konstabler. Wir müssen Alarm schlagen.»
    «
Nein …
wartet.»
    Ein kleines Licht. Eine einzelne Laterne, die in der Schwärze der Nacht brannte.
    Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott …
    «Doktor, das …» Die Falten in seinem Gesicht wurden im Mondlicht zu tiefen Furchen. «Das ist nicht mehr normal.»
    «Normal?» Ich hatte mich kaum noch unter Kontrolle. «Wie werden Menschen hier denn
normalerweise
umgebracht?»
    «Im Zorn. Oder im Vollrausch.» Seine Stimme klang matt. «Niemals auf diese Weise.»
    Die Arme des Toten waren ausgebreitet wie die unseres Erlösers am Kreuze. Schatten tanzten an den Wänden über und neben ihm, wie flatternde Engelsflügel.
    «Ich muss mich erst mit Master Roberts beraten», sagte ich.
    «Er ist krank.»
    «Ich weiß. Und er braucht Schlaf. Dennoch –»
    «Was hier geschehen ist, macht ihn bestimmt nicht wieder gesund. Bei Gott!», rief Cowdray.
    «Das stimmt.»
    Ich habe gewalttätige Zeiten erlebt und gesehen, wie Menschen auf mannigfaltige Arten grausam hingerichtet wurden. Aber seit der Verbrennung meines Zellennachbars Barthlet Green war mir nichts mehr so zu Herzen gegangen. Ich hob die Laterne und schaute mir die Leiche noch einmal an, schluckte bittere Galle und meine Selbstvorwürfe hinunter.
    Der tote Mann lag dort wie eine gesegnete Devotionalie, sein Körper wies ostwärts, wo sich einst der Hochaltar und die Gruft aus schwarzem Marmor befunden haben mussten.
    In seinem Mund steckten die Überreste einer Kerze, um deren Ende sich auf obszöne Weise die mit Talg überzogenen Lippen schlossen. Ich hielt mir Mund und Nase zu: Es roch nach kaltem Fett und Scheiße. Die Kerze musste lange gebrannt haben, das Gesicht war mit dem Talg wie mit einer Totenmaske überzogen. Und in ihrem letzten Licht konnte ich nun auch erkennen, wie der Brustkorb zugerichtet war.
    Lythgoes Körper war ausgeweidet, die Organe lagen feucht glänzend in einer Lache dunklen Blutes auf den Steinen verteilt – wie zum Frühstück gereichte Innereien. Ich beugte mich vor und übergab mich erneut. Da bemerkte ich, was sich in seiner linken Hand befand.
    «Allmächtiger Gott, Cowdray …»
    Dudley hatte mir erzählt, dass Martin Lythgoe schon im Haus seiner Familie gelebt hatte, als er noch ein kleiner Junge war. Ich hatte ihn nicht gut gekannt, aber er war ein anständiger Mann gewesen. Ein guter Mensch.
    «Diese Stadt stinkt bis in die Hölle» bemerkte Cowdray giftig. «Kommt, Doktor. Fort von hier.»
    Aber ich zwang mich, erneut hinzusehen, um sicherzugehen, dass sich in der linken Hand des armen Martin wirklich das befand, was selbst ich – kein Anatom und nur dem Titel nach ein Doktor – als sein lebloses Herz erkannte.
    Dann folgte ich Cowdray zurück zum Empfangshäuschen neben dem Eingang. Die Ruine der Abtei kam mir in dieser bitteren Morgendämmerung wie das aufgebrochene Gerippe eines gewaltigen Ochsen vor.
    «Ihr habt recht», sagte ich. «Lasst ihn holen.»
     
    †
     
    Jede Menge Laternen erhellten jetzt das letzte Dunkel der Nacht, was der Abtei den perversen Anschein verlieh, sie wäre wieder zum Leben erwacht. Ich war verwirrt und fühlte mich fehl am Platze. Die schlaflose Nacht forderte ihren Tribut. Ich beobachtete Fyche, der sich vom Rücken seines Pferdes aus ein Bild der Lage machte. Dann stieg er ab und kam ohne Eile auf mich zugeschlendert.
    «Ist das der Leichnam Eures Bediensteten, Dr. John?»
    Er war zusammen mit drei Konstablern hergeritten, trug ein Lederwams und Reitstiefel. Fyche nahm sich eine Laterne und hielt sie mir vors Gesicht, als wollte er sehen, ob man mir daran das schlechte Gewissen ablesen konnte. Und vielleicht konnte man das tatsächlich.
    «Sonderbar, dass ausgerechnet Ihr es wart, der ihn gefunden hat, Dr. John. Aus welchem genauen Grund seid Ihr lange nach Mitternacht in die Abtei gegangen?»
    «Ich …» Lieber Gott, ich hatte ganz vergessen, mir dafür eine plausible Erklärung einfallen zu lassen. «Ich konnte nicht schlafen, und da erschien es mir der geeignete Zeitpunkt, um die Ruine in aller Ruhe zu inspizieren. Wenn sonst niemand hier ist.»
    «Außer den Toten. Habt

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