Die Gebeine von Zora
Glück, dass wir Foltz und seiner Clique entkommen sind, sondern auch dass wir unseren Gastgeber nicht in Unkenntnis der hiesigen Gebräuche und Tabus verletzt oder beleidigt haben. Wie leicht hätte das passieren können!«
»Ich würde mich nicht trauen, mit einer Touristengruppe nach Chilihagh zu reisen«, sagte Reith nachdenklich. »Wenn sie nicht mit der Staatsreligion in Kollision gerieten, würden sie wahrscheinlich aus Zufall irgendeinen Cowboy beleidigen und den Rest der Tour ohne Kopf herumlaufen.«
»Da wir gerade von Religion sprechen«, sagte Marot, »was sollen wir in Jeshang tun? Lazdai, die Hohepriesterin, wird wahrscheinlich zurück auf ihrem Thron sein. Sie könnte den Wunsch verspüren, uns weiter zu befragen.«
»Wir werden an Bord bleiben und uns strikt verborgen halten«, sagte Reith.
»Wie lange ist diese Reise, Fergus?« fragte Alicia.
»Ungefähr hundertfünfzig Kilometer bis Jeshang und etwas mehr als noch einmal so viel bis Jazmurian. Bei günstigem Wind und wenn sonst nichts dazwischenkommt, könnten wir es bis Jeshang in zwei Tagen schaffen. In der Praxis dauert es aber drei Tage, weil dieser Zuber an zahlreichen kleinen Privatanlegestellen unterwegs hält.«
Der Tag floss träge dahin. Die Morkerád glitt durch stille Sumpfregionen, aus denen Schwärme kreischender Aqebats aufstoben und mit heftigem Flügelschlag davonflatterten. An anderen Stellen wurde die Strömung stärker, und der Fluss schlängelte sich zwischen steil aufragenden braunen Felswänden dahin. Je weiter sie flussabwärts kamen, desto dichter wurde die Vegetation; die Bäume wurden größer und zahlreicher, ihre Stämme prangten in den verschiedensten Farben, von Smaragdgrün über Karmesinrot bis zu leuchtendem Gold.
»Dieser Farbenreichtum hängt mit der Fremdbefruchtung zusammen«, erklärte Marot. »In der krishnanischen Flora gibt es keine Blumen im eigentlichen Sinne; ihre Funktion, nämlich die, Insekten anzulocken, erfüllen hier die bunt leuchtenden Baumstämme. Sie erlauben den fliegenden Arthropoden, die hier über Farbunterscheidungsvermögen verfügen, genau die Gattung zu finden, für deren Befruchtung sie zuständig sind.«
Hier und da krabbelten wilde krishnanische Pflanzenfresser, durch das Auftauchen des Bootes vom Trinken aufgescheucht, hastig die Uferböschung hinauf und hoppelten davon. An einer seichten Stelle stand eine Bishtarfamilie im Wasser und schaufelte, offenbar völlig unbeeindruckt von den fremden Wesen, die da so plötzlich vorbeiglitten, zentnerweise Wasserpflanzen in die riesigen rosafarbenen Mäuler. Dieser krishnanische Elefant war ein gewaltiger faßförmiger Koloss auf sechs Säulenbeinen, mit einem länglichen, sich nach vorn hin verjüngenden Tapirkopf, der in einem kurzen gegabelten Rüssel endete. Seine dicke Haut war von einem kurzhaarigen, glänzenden, purpurfarbenen bis braunen Fell mit weißen Tupfern bedeckt. Zwei kleine trompetenförmige Ohren vervollständigten das Bild.
Gegen Mittag des Vormittags legten sich die Terraner, eingelullt von dem sanften Schwanken des Bootes und dem leisen Plätschern der Wellen gegen den Rumpf, ins Deckhaus zum Schlafen. Die Schlafmöglichkeiten, die sie vorfanden, waren von primitivster Art: ein Stapel Strohbetten, von dem sich jeder Passagier eins heraussuchen und auf den Decksplanken ausbreiten konnte. Der Kapitän hatte eine private Kajüte, aber für die anderen gab es keine Möglichkeit, sich zurückzuziehen. Reith machte sich mit dem Gedanken vertraut, dass aus seinem insgeheim erhofften intimen Beisammensein mit Alicia bis Jazmurian nichts werden würde. Aber vielleicht, dachte er, war das auch mal ganz gut; ein paar Tage Erholung würden ihm gewiss nicht schaden.
Als Reith und seine Gefährten› nach ihrem Mittagsschlaf aus dem Deckhaus kamen, zerrte Marot seinen Sack mit den Fossilfragmenten hervor. Dann holte er seinen Geologenhammer, der auf wundersame Weise die Ereignisse der letzten Tage überdauert hatte. Damit und mit seinem Taschenmesser begann er nun, die einzelnen Bruchstücke zu bearbeiten. Sorgfältig untersuchte er zuvor jedes einzelne darauf hin, ob er den Stein mit dem Hammer vom Knochen losklopfen oder ihn lieber sorgfältig mit dem Messer wegkratzen sollte. Er erklärte:
»Diese Arbeit muss ich früher oder später sowieso erledigen. Wenn ich es jetzt tue, kann ich vielleicht das Gewicht der Brocken so weit reduzieren, dass ich den ganzen Sack mit auf die Erde nehmen kann. Den Wissenschaftlern wäre
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