Die Gebeine von Zora
er – leise und zum ersten Mal seit vielen Jahren – zu weinen.
In der Cafeteria saßen Reith und Alicia sich trübsinnig gegenüber und kauten lustlos an ihrem letzten gemeinsamen Frühstück. Sie sprachen wenig miteinander und starrten einander versonnen an, wie als wollten sie sich jedes Fältchen, jede Linie im Gesicht des anderen für immer ins Gedächtnis einprägen. Schließlich sagte Reith:
»Warum schreibst du nicht, neben den xenologischen Abhandlungen, die du veröffentlichen willst, auch einen persönlichen Erinnerungsbericht, sozusagen deine Memoiren, über deine krishnanischen Jahre? Du hättest Stoff genug für drei Romane. Das Buch könnte ein Bestseller werden.«
»Aber dann müsste ich der Welt gestehen, wie abscheulich ich zu dir war!«
»Schauspielerinnen bekennen in ihren Memoiren auch immer, wie biestig sie zu ihren Ehemännern und Geliebten waren. Du könntest ja auch mich für alles verantwortlich machen; oder die Episoden, in denen ich vorkomme, nur kurz streifen.«
»Oh, Fergus, ich könnte niemals dir die Schuld in die Schuhe schieben …« Doch noch während sie dies sagte, trat in ihre Saphiraugen das typische Leuchten eines Schriftstellers, den soeben die Muse geküsst hat. »Ich glaube, ich versuche es! Ich werde all meine Torheiten gestehen. Hättest du was dagegen, wenn ich es unter dem Namen Alicia Dyck-man-Reith veröffentlichen würde? Ich habe eine sentimentale Bindung an den Namen.«
»Schreib es unter dem Namen, unter dem du möchtest, Darling. Ich würde mich geehrt fühlen.«
»Und widmen werde ich es meinem … meinem ›Einstigen und künftigen …‹ « Sie brach ab und presste die Lippen zusammen; in ihren Augen standen Tränen. Sie wandte sich ab und schaute auf die Wanduhr. »Ich muss los. Bringst du mich noch zum Schiff?«
Am Fuß der Gangway gab Reith sich einen Ruck. »Leb wohl, Lish, und alles, alles Gute! Ich drücke dir die Daumen, dass deine Bücher über Krishna ein Riesenerfolg werden, über den ganz Terra spricht.«
»Danke. Oh, Fergus, mein Liebling, du hast es dir nicht vielleicht doch noch anders überlegt?«
»Nein. Mein Entschluss steht fest.«
»Dann leb wohl.« Sie fielen sich in die Arme, und ihre Lippen vereinten sich zu einem letzten, leidenschaftlichen, endlosen Kuss.
»Ich komme zurück – irgendwann«, sagte sie schließlich. »Und solange ich lebe, werde ich an unser großes Abenteuer denken, und daran, was für ein feiner Mensch du bist und was für ein wunderbarer Lieb …« Ihre Stimme erstickte, und sie wandte sich ab und tupfte die Augen mit einem Taschentuch.
Erhobenen Hauptes stieg Alicia Dyckman die Gangway hinauf, ganz langsam, als stiege sie aufs Schafott. Reith fühlte sich, als würde jemand ein Messer in seinen Eingeweiden herumdrehen, als er ihr nachschaute. Eine Woge von Gefühl brandete in ihm auf, ein fast unwiderstehliches Verlangen, zu schreien: Alicia, komm zurück! Wir werden uns schon irgendwie zusammenraufen! Er versuchte mit aller Macht, dieses Verlangen zu unterdrücken; er wusste, dass es irrational und selbstzerstörerisch war. Es wäre nur die Einladung zu einem abermaligen Desaster. Aber das Gefühl wuchs und wurde immer stärker, bis es, einer Flutwelle gleich, die einen Staudamm zerbricht, alle vernünftigen Erwägungen beiseite fegte. Als sie sich umdrehte, um ihm noch einmal zuzuwinken, und während seine innere Stimme ihn noch beschwor: Tu’s nicht, du verdammter Idiot! füllte er die Lungen, und der Mund öffnete sich, um zu schreien.
In diesem Moment sagte eine wohlvertraute Stimme hinter ihm: »Ah, mon ami!« Marot hielt einen kleinen Beutel mit Fossilfragmenten hoch, jedes einzelne säuberlich von allen anhaftenden Steinresten befreit. »Siehst du unseren Ozymandias? Einige Fragmente sind zweifellos verloren gegangen, als Foltz das Fossil zertrümmerte, aber ich denke, es sind genug übrig geblieben, um die Richtigkeit meiner Theorie zu beweisen. Ich werde es Parodosaurus reithi nennen, was soviel bedeutet wie ›Reiths Übergangsechse‹. Es wird in die Geschichte eingehen als einer der wichtigsten Funde in der krishnanischen Biologie. Ich werde dafür sorgen, dass dein Name in der Fachpresse die gebührende Erwähnung und Anerkennung findet, dafür dass du es erstens entdeckt hast und zweitens, dass du es unter widrigsten Umständen und unter Einsatz deines Lebens nach Novorecife gebracht hast.
Wenn du mal wieder nach Terra zurückkommst, mon eher, musst du mich unbedingt in Paris
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