Die Gebeine von Zora
eine Kostprobe Eurer Ertso-Manneskraft darzubieten. Aber vielleicht könnte man ja ein Stelldichein in der Unterstadt arrangieren.«
»Was meint Ihr mit ›Schwierigkeit?« fragte Reith mit misstrauisch forschendem Blick.
»Khabur war, so müsset Ihr wissen, höchst ergrimmt. Da Ihr ein Fremdweltler seid, kann er Euch nicht zum Kampfe herausfordern. So schwor er denn statt dessen, Euch, so er Euch je begegnen sollte, die Nase, die Ohren und alle anderen hervorspringenden Teile Eures Körpers abzuschneiden.«
»Danke für die Warnung«, sagte Reith mit etwas belegt klingender Stimme. »So sehr es mir gefallen würde, unsre in solch guter Erinnerung gebliebene Bekanntschaft wieder aufzufrischen – doch leider müssen wir unverzüglich zum Schatzamt und darauf sogleich Weiterreisen. Falls wir auf der Rückreise durch Mishe kommen sollten – nun, dann können wir weitersehen. Einstweilen sage ich Euch Lebewohl! Komm, Aristide!«
»Worum ging’s?« fragte Marot.
Reith gab ihm den Inhalt ihres Gesprächs wieder und fügte hinzu: »Die Ritterkaste hier praktiziert eine Art Kommunismus. Jeder Besitz ist Gemeineigentum. Darüber hinaus wenden sie dieses Prinzip auch auf den Sex an. Männer und Frauen des ritterlichen Standes können kopulieren, mit wem sie Lust haben. Die Eier werden in einer Kinderbewahranstalt ausgebrütet und die Kinder von Pflegerinnen aus den Reihen der Gemeinen großgezogen, so dass niemand weiß, wer mit wem verwandt ist. Die Ritterfrauen von Qarar haben die größten sexuellen Freiheiten von allen Frauen auf Krishna; sie genießen quasi sexuelle Gleichberechtigung.«
»Das klingt wie Pia tos Politeia, in die Praxis umgesetzt.«
»Könnte man so sagen. Sie haben informelle Beziehungen; dennoch gilt es als unschicklich, sich einen neuen Partner zu nehmen, solange man mit dem alten noch nicht offiziell Schluss gemacht hat. Wenn so etwas passiert, ficht der Mann ein Duell aus, während die Frauen eher dazu neigen, ihrer Rivalin einen Dolch zwischen die Rippen zu stecken oder ihr Gift in die Suppe zu mischen.«
»Wie in unserer terranischen Renaissancezeit«, sagte Marot. »Solche Arrangements hat man auf der Erde auch schon ausprobiert – mit mäßigem Erfolg. Auf beiden Planeten, so denke ich, entwickeln die meisten Leute Besitzansprüche gegenüber denen, die sie lieben. Sie erwarten strikte Treue von ihnen, fordern zugleich aber für sich selbst vollkommene Handlungsfreiheit. Damit ist der Konflikt bereits vorprogrammiert; und wenn ich dich recht verstanden habe, bist du in eben einen solchen verwickelt?«
Reith nickte düster. »Alicia war ein paar Monate vorher abgehauen, und ich war – nun, du weißt ja selbst, wie das ist. Gashigi versicherte mir, dieser Khabur hätte bestimmt nichts dagegen, da sie sich sowieso geeinigt hätten, Schluss zu machen. Aber die Dinge scheinen sich wohl doch anders entwickelt zu haben.«
»Mein Freund …« Marot zögerte. »Ich würde nicht im Traum daran denken, dir Verhaltensmaßregeln zu erteilen; aber mir wäre wohler, wenn du auf das Angebot der Dame nicht eingehen würdest.«
»Bist du denn gar nicht neugierig? Ihr Angebot erstreckte. sich auch auf deine Person.«
»Nicht im geringsten! Ich bin absolut nicht auf amouröse Abenteuer aus. Mein einziges Ziel ist, mit meinen Fossilien heil nach Novo zurückzukehren. Danach – nous verrons.«
»Ich hab ja auch nur Spaß gemacht. Irgendwas in meinem Innern sagt mir, dass wir während unseres Aufenthaltes in Mishe in der Unterstadt besser aufgehoben sind. Khabur ist zwar nur ein mittelmäßiger Fechter, aber er ist stark wie ein Shaihan.«
Reith führte Marot zum Schatzamt, und nach kurzem Warten wurden sie in das Büro des Schatzmeisters des Ordens von Qarar vorgelassen. Sir Kubanan war einer der wenigen fetten Krishnaner; er sah aus wie ein Nikolaus ohne Bart. Ein großes goldenes Drachenemblem auf der Vorderseite seines karmesinroten Umhangs wies ihn als ein Ordensmitglied von höchstem Rang aus.
»Ah, Meister Reith!« rief Kubanan auf Mikardandou und wedelte dabei mit seiner übel riechenden Zigarre. »Wir haben erwartet, dass Ihr mit einer ganzen Schar terranischer Reisender hier ankommt, die alle unsere Sehenswürdigkeiten betrachten und unsere Waren kaufen. Stattdessen erscheint Ihr nur mit einem einzigen. Oder sind die anderen gerade auf einem Stadtbummel?«
»Nein, mein guter Herr«, antwortete Reith. »Diesmal komme ich als persönlicher Führer des gelehrten Doktor Marot.«
Kubanan
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